Unser interaktiver AI Hub informiert über die neuesten Trends und Entwicklungen.
Das BVerwG hat am 9. November 2021 über die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung bzw. -verordnung in Berlin-Kreuzberg (Milieuschutzsatzung) entschieden (4 C 1.20). Dabei urteilte es, entgegen der Vorinstanzen, dass die Annahme einer zukünftigen erhaltungswidrigen Nutzungsabsicht des Käufers keinen hinreichenden Grund für die Ausübung des Vorkaufsrechts darstelle.
Die Klägerin ist eine Immobiliengesellschaft, die ein im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gelegenes Grundstück gekauft hat, auf dem sich ein Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 befindet. Für das Grundstück gilt eine Erhaltungsverordnung zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (sog. Milieuschutzsatzung). Das zuständige Bezirksamt befürchtete, dass die Klägerin – nach Ablauf einer bestehenden Bindung – die Bewohner des Gebäudes durch Aufwertung der Mietwohnungen und anschließende Mieterhöhungen oder eine Umwandlung in Wohnungseigentum verdrängen werde. Daher übte es sein Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus.
Sowohl vor dem VG Berlin, als auch vor dem OVG Berlin-Brandenburg, blieb die hiergegen gerichtete Klage erfolglos. Das OVG war der Ansicht, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit mit Blick auf die Förderung der sozialen Erhaltungsziele gerechtfertigt sei. Zu befürchtende künftige erhaltungswidrige Entwicklungen oder zielwidrige Veränderungsabsichten des Käufers, die das OVG hier u.a. aus der Höhe des vereinbarten Kaufpreises und der Ablehnung einer Verpflichtungserklärung zur Abwendung des Vorkaufsrechts gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB ableitete, seien zu berücksichtigen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei nicht ausgeschlossen.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Revision.
Das BVerwG erteilt der Ansicht der Vorinstanzen eine Absage und hebt das Urteil des OVG auf. Zwar stehe der Gemeinde gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Baugesetzbuch (BauGB) ein Vorkaufsrecht im Geltungsbereich von Erhaltungssatzungen zu. Dessen Ausübung sei hier jedoch ausgeschlossen.
Nach § 26 Nr. 4 BauGB ist die Ausübung eines Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB aufweist. Dies sei hier der Fall. § 26 Nr. 4 BauGB beziehe sich dem Wortlaut nach eindeutig nur auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Für die Berücksichtigung zu erwartender künftiger Nutzungen gebe die Norm keinen Raum. Insofern reiche die Befürchtung einer zukünftigen städtebaulichen Fehlentwicklung nicht aus. § 26 Nr. 4 BauGB sei auch auf Grundstücke, die im Gebiet einer Erhaltungssatzung liegen, anwendbar.
Der Entscheidung des BVerwG ist zuzustimmen. Sie trägt zur Klärung der bisher umstrittenen Frage bei, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gemeinde ein Vorkaufsrecht für Grundstücke im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung zusteht. Das BVerwG zeigt auf, dass der Ausschluss des Vorkaufsrechts gem. § 26 Nr. 4 BauGB auch auf das Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bei Erhaltungssatzungen Anwendung findet und, dass Gemeinden ihr Vorkaufrecht nicht bei dem Verdacht einer zukünftig beabsichtigten erhaltungswidrigen Nutzung ausüben können.
Damit schiebt es auch möglichen politischen Erwägungen, mit Hilfe des Vorkaufsrechts (Miet-)Wohnungen in die öffentliche Hand zu überführen, einen Riegel vor und stärkt die Rechte privater Käufer. Für das Land Berlin dagegen ist die Entscheidung ein weiterer Dämpfer nachdem das Bundesverfassungsgericht im April 2021 bereits den Mietendeckel gekippt hatte.
Verfasst von Dr. Martin Haase, Damian Sternberg, und Dr. Elisabeth Pünder.