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Am 23. Februar 2022 hat die Europäische Kommission ihren lange erwarteten Vorschlag für eine Richtlinie zur "Corporate Sustainability Due Diligence" vorgelegt ("Richtlinienentwurf"). Der Richtlinienentwurf geht an vielen relevanten Punkten deutlich über den Regelungsgehalt des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ("LkSG") sowie anderer bereits bestehender nationaler Regulierungsansätze in Europa hinaus. Dies betrifft insbesondere den Adressatenkreis der betroffenen Unternehmen, die Reichweite der Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette, die zusätzliche Fokussierung auf Sorgfaltspflichten betreffend Umweltschutz und Klimaziele sowie die Schaffung einer zivilrechtlichen Haftungsgrundlage als zusätzliches Sanktionselement.
Mit ihrem Richtlinienvorschlag samt Annex verfolgt die Kommission das Ziel, Unternehmen innerhalb des eigenen Geschäftsbereichs und entlang der gesamten Wertschöpfungskette zur Einhaltung der Menschrechte und des Umweltschutzes zu verpflichten. Das Verhalten der Unternehmen in allen Sektoren wird als Schlüssel zum Erfolg beim Übergang zu einer klimaneutralen und umweltfreundlichen Wirtschaft in Einklang mit dem European Green Deal und den UN Sustainable Development Goals angesehen.
Der nunmehr vorliegende Richtlinienentwurf der Kommission erfolgte auf die Initiative des Europäischen Parlaments. Auch wenn der Entwurf nun zunächst das weitere Gesetzgebungsverfahren durchlaufen wird, so können sich Unternehmen bereits jetzt auf deutlich strengere Vorgaben einstellen. Zudem steht mit dem Entwurf fest, dass aller Voraussicht nach deutlich mehr Unternehmen in Deutschland, Europa sowie weltweit ihr Compliance Management System an den Sorgfaltspflichtenkatalog des Richtlinienentwurfs anpassen werden müssen, als dies zumindest aufgrund einer direkten Verpflichtung nach dem LkSG zum 1. Januar 2023 bzw. zum 1. Januar 2024 der Fall ist.
Im Folgenden greifen wir daher insbesondere die Anforderungen auf, die sich aus Sicht der Unternehmen, gerade auch im Vergleich zu dem LkSG, stellen werden.
Während das LkSG erst ab einer Unternehmensgröße von 3.000 (ab 2023) bzw. 1.000 Mitarbeitern (ab 2024) eingreift, erfasst die Richtlinie Unternehmen bereits ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von EUR 150 Millionen. In "risikoreichen" Wirtschaftszweigen, zu denen u.a. die Textil-, und Lebensmittelbranche gezählt wird, liegen die Schwellenwerte bei 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von EUR 40 Millionen.
Auch die Finanz- und Versicherungsbranche wird nun explizit zu den erfassten Unternehmen gezählt. Die "Wertschöpfungskette" besteht nach dem Richtlinienentwurf in diesem Fall aus den Aktivitäten der jeweiligen Kunden.
Das Kernelement des Richtlinienentwurfs ist – wie auch bereits im LkSG - die Definition von Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette sowie die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Implementierung eines umfassenden Risikomanagementsystems. Auch bietet sich an, diesen Sorgfaltspflichten im Rahmen des Compliance Management Systems nachzukommen und dieses entsprechend aufzusetzen oder zu ergänzen.
Erfasste Unternehmen müssen alle verhältnismäßigen Maßnahmen ergreifen, um nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt in ihrer Wertschöpfungskette zu verhindern oder zu mindern. Als nachteilige Auswirkungen definiert der Richtlinienentwurf Verstöße gegen bestimmte, im Anhang des Entwurfs aufgeführte völkerrechtliche Konventionen. Wie bereits erwartet, bezieht der Richtlinienentwurf zudem deutlich mehr internationale Umweltregelungen ein, als dies etwa nach dem LkSG der Fall ist. Dem Umweltschutz kommt nach dem Richtlinienentwurf somit insgesamt eine größere Rolle zu.
Um eine wirksame Durchsetzung der in dem Richtlinienentwurf vorgesehenen Verpflichtungen – auch in Bezug auf die Opferentschädigung - zu gewährleisten, sieht die Richtlinie explizit Vorgaben zur zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen vor.
Nach Art. 22 (1) des Richtlinienentwurfs müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Unternehmen für Schäden haften, wenn sie den zuvor dargestellten Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen sind und infolge dieses Versäumnisses eine nachteilige Auswirkung eingetreten ist, die durch geeignete Maßnahmen hätte erkannt, vermieden, gemildert, beendet oder minimiert werden müssen und zu einem Schaden geführt hat.
Dies gilt für Schäden auf Ebene der direkten Geschäftsbeziehung, beispielsweise den Tier 1-Lieferanten, einschränkungslos. Bei Verstößen eines Tier ’n‘-Lieferanten ist die Hürde für eine zivilrechtliche Haftung hingegen höher. Die Haftung für Verletzungshandlungen eines indirekten Geschäftspartners soll ausweislich Art. 22 (2) der Richtlinie grundsätzlich nicht bestehen, wenn dem Unternehmen die vertragliche Zusicherung des direkten Geschäftspartners vorliegt, dass dieser die Einhaltung des Code of Conduct des Unternehmens sicherstellt, indem er auch von seinen Partnern die entsprechende vertragliche Zusicherungen einholt (contractual cascading). Dies gilt nicht, wenn es vom Unternehmen unangemessen war, zu erwarten, dass die ergriffenen Maßnahmen ausreichen, die nachteiligen Auswirkung zu verhindern, zu minimieren, zu beenden oder zu mildern. Insoweit sieht die Regelung eine Beweislastumkehr vor („es sei denn“), womit im Falle eines Haftungsanspruchs, ausgelöst durch einen indirekten Geschäftspartner, der Anspruchsteller (Geschädigter) diesen Nachweis führen muss.
Es ist daher zu erwarten, dass vertraglichen Zusicherungen über die verschiedenen Stufen der Lieferkette hinweg zukünftig eine starke Relevanz zukommen wird. Die vertragliche Umsetzung regulatorischer Vorgaben spielt schon jetzt eine zunehmend wichtig Rolle in der Vertragspraxis. Diese Bedeutung wird weiter zunehmen und auch von behördlicher Seite in den Fokus geraten.
Ausweislich Art. 22 (4) des Richtlinienentwurfs soll all dies unbeschadet strengerer zivilrechtlicher Haftungsvorschriften gelten, die in Rechtsvorschriften der Union oder in den Mitgliedstaaten gelten. Für Deutschland existieren jedoch keine strengeren zivilrechtlichen Haftungsvorschriften, so dass die Richtlinie insoweit Handlungsbedarf auslöst. Denn die einzuführenden Haftungsregelungen gehen weiter als die Haftungsregelungen des LkSG. Das LkSG enthält keine gesonderten Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung; der Gesetzgeber stellte vielmehr ausdrücklich klar, dass durch das LkSG keine zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken geschaffen werden sollen (§ 3 Abs. 3 S. 1 LkSG). Nach allgemeinen Recht sind Unternehmen mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen, Umweltschädigungen und Verletzung von Pflichten zur verantwortungsvollen Unternehmensführung mangels Verletzung eines geschützten Rechtsguts jedoch im Regelfall nicht haftbar. Der deutsche Gesetzgeber wird innerhalb der Umsetzungsfrist der Richtlinie folglich nachrüsten müssen, um die Vorgaben der Richtlinie zu erfüllen.
Schließlich müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zu schaffende zivilrechtliche Haftung auch in Fällen gilt, in denen das anwendbare Recht nicht das Recht eines Mitgliedstaates ist (Art. 22 (5) des Richtlinienentwurfs). Dies kann beispielsweise durch die Gestaltung der einschlägigen Bestimmungen als Eingriffsnorm im Sinne des Art. 16 Rom-II VO erreicht werden (so auch schon die Vorschlagsempfehlung des Europäischen Rates). Eingriffsnormen sind Normen, deren Einhaltung für die für die Wahrung des öffentlichen Interesses des Staates, vor dessen Gerichten der Rechtsstreit ausgetragen wird, so bedeutsam sind, dass sie in jedem Fall zur Anwendung kommen, unabhängig davon, welches Recht auf den Sachverhalt nach europäischem Kollisionsrecht anzuwenden ist. Der Wille der Ausgestaltung als Eingriffsnorm wird im Gesetzestext oder in der Gesetzesbegründung der Mitgliedstaaten dann entsprechend zum Ausdruck kommen müssen.
Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission wird nun im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren noch durch das Europäische Parlament und den Rat gebilligt werden müssen. Im Anschluss ist innerhalb der vorgesehenen Umsetzungsfrist von 2 Jahren eine Umsetzung durch die Mitgliedstaten in nationales Recht nötig.
Für das deutsche LkSG würde dies nach aktuellem Stand des Kommissionsvorschlags Änderungsbedarf bedeuten, insbesondere in Bezug auf den Anwendungsbereich, die Regelungen zum Schutz der Umwelt sowie für die zu schaffende zivilrechtliche Haftungsgrundlage für Sorgfaltspflichtverletzungen von Unternehmen. Gerade die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftungsgrundlage und dem damit einhergehenden Klagerisiko wird der Compliance-seitigen Einhaltung der Sorgfaltspflichten im Unternehmen nochmals zusätzliche Relevanz verleihen.
In Zeiten zunehmender zivilrechtlicher Haftung aus Compliance-Verstößen, stellt dies neben den ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionsmechanismen für das Unternehmen und die Geschäftsleitung, ein erheblich gesteigertes Risiko dar.
Auch wenn bis zur Umsetzung in nationales Recht noch eine längere Zeit vergehen wird, sollten sich Unternehmen – auch in Deutschland – mit dem Sorgfaltspflichtenkatalog des Richtlinienentwurfs vertraut machen. Insbesondere bzgl. der erweiterten Einbeziehung von Umweltschutzaspekten nach dem Richtlinienentwurf, ist es empfehlenswert, diesen Fokus bereits bei der aktuell anstehenden Implementierung der Anforderungen des LkSG in das Compliance Management System zu berücksichtigen.
Zudem unterstreicht der Richtlinienentwurf nochmals, dass sich auch kleinere Unternehmen unterhalb der aktuellen Schwellen des LkSG mit den Compliance-seitigen Anforderungen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in der Wertschöpfungskette befassen sollten. Denn neben dem Risiko einer mittelbaren Betroffenheit nach dem LkSG, liegt es nunmehr nahe, dass diese Sorgfaltspflichten über kurz oder lang auch direkt Unternehmen unterhalb der Schwelle von 1.000 Mitarbeitern in Deutschland betreffen werden.
Verfasst von: Dr. Patrick Ayad, Dr. Detlef Haß, Dr. Christian Ritz, Dr. Sebastian Gräler, Dr. Jessica Goetsch.