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Absprachen im Personalbereich rücken zunehmend in den Fokus der Kartellbehörden. EU Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat jüngst am 22. Oktober 2021 in einer Rede in Rom ("A New Era of Cartel Enforcement") ausdrücklich betont, dass die Kommission verstärkt auch atypische Kartelle, einschließlich Gehaltsabsprachen ("wage fixing") oder Abwerbeverbote ("no-poach agreements") verfolgen wird.
Absprachen im Personalbereich rücken zunehmend in den Fokus der Kartellbehörden. EU Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat jüngst am 22. Oktober 2021 in einer Rede in Rom ("A New Era of Cartel Enforcement") ausdrücklich betont, dass die Kommission verstärkt auch atypische Kartelle, einschließlich Gehaltsabsprachen ("wage fixing") oder Abwerbeverbote ("no-poach agreements") verfolgen wird.
In Kombination mit ihrer Ankündigung einer Serie von Dawn Raids in den nächsten Monaten ist nicht auszuschließen, dass Brüssel zeitnah ein erstes Kartellverfahren zu Absprachen im Personalbereich einleiten wird
Die EU Kommission wäre mit der Einleitung eines Kartellverfahrens bzgl. Absprachen im Personalbereich keineswegs in einer Pionierrolle.
International sind mehrere Kartellbehörden hier bereits deutlich weiter:
Kommissarin Vestager hat Absprachen zwischen Wettbewerbern in Arbeitsmärkten jüngst als Einkaufskartell mit sehr direkten Auswirkungen auf die Individuen und den Wettbewerb bezeichnet. Es lohnt sich daher ein Blick darauf, wie sich das EU Kartellrecht bisher zu derartigen Abreden verhält bzw. wo die kartellrechtlichen Ansatzpunkte liegen.
Das EU Kartellrecht macht auch vor dem Personalbereich nicht Halt – es ist grundsätzlich auf alle Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen anwendbar. Allerdings ergibt sich eine Einschränkung aus der Adressierung des Kartellverbots an Unternehmen: So sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ("EuGH") Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich ausgenommen, da sie keine Unternehmen darstellen, sondern vielmehr in Unternehmen eingegliedert sind. Daher werden Absprachen zwischen Gewerkschaften (als Zusammenschluss von Arbeitnehmern) nicht dem Kartellrecht unterworfen. Zudem erfasst das Kartellrecht keine Tarifvereinbarungen (Tarifautonomie).
Sachlich betroffen ist der Markt für Arbeitskräfte, auf dem die nachfragenden Unternehmen um ihr (zukünftiges) Personal konkurrieren. Maßgeblich ist in erster Linie die Austauschbarkeit der Arbeitskräfte aus Sicht der Unternehmen als Arbeitgeber. Dabei ist zu beachten, dass Unternehmen aus völlig unterschiedlichen Branchen Wettbewerber sein können. Ob die Unternehmen auf den nachgelagerten Produktmärkten miteinander in Wettbewerb stehen, spielt grundsätzlich keine Rolle.
Doch wie weit ist dieser Nachfragemarkt zu ziehen? Hierbei sind vor allem die Qualifikationen der Arbeitnehmer oder das Erfordernis einer spezifischen Ausbildung zu berücksichtigen. Je höher die Anforderungen sind, desto weiter ist der räumliche Markt zu fassen, da das Unternehmen mit steigenden Qualitätsanforderungen in Betracht ziehen muss, auch räumlich entferntere Arbeitnehmer zu rekrutieren. Begrenzt wird dies jedoch zum einen durch tatsächliche Faktoren wie Branchenstandorte, Sprache und letztlich auch die Arbeitnehmermobilität. Zum anderen können sich auch rechtliche Faktoren, wie etwa erforderliche Aufenthaltsgenehmigungen und Visa, bei der Marktabgrenzung auswirken.
Nicht nur den aktuellen Kartellverfahren in der EU, sondern auch vorangegangenen Verfahren in den USA lässt sich entnehmen, dass kartellrechtlich problematische Absprachen im Personalbereich vor allem in Form von Sperrabreden, Abwerbeverboten und Gehaltsabsprachen auftreten können.
Die Antitrust Guidance for HR Professionals der US Kartellbehörden illustriert die Bedeutung dieses Bereichs: Sie erklärt Gehaltsabsprachen und Abwerbeverbote zu Per‑se‑Verstößen, die nach US Kartellrecht mit Freiheitsstrafen sanktioniert werden können. Unternehmen mit Verbindung zu den USA sollte dies angesichts der eingangs genannten Ankündigung des Department of Justice, Wettbewerbsbeschränkungen im Personalbereich zukünftig priorisiert unter die Lupe zu nehmen, eine besondere Warnung sein.
Abwerbeverbote und Sperrabreden
Abwerbeverboten und Sperrabreden ist gemein, dass die Unternehmen untereinander eine Art „Nichtangriffspakt“ in Bezug auf ihr Personal vereinbaren. Sie lassen sich danach unterscheiden, ob die Kontaktaufnahme vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ausgeht: Abwerbeverbote ("no-poach agreements") bezeichnen Absprachen zwischen Unternehmen, wechselseitig nicht "zu wildern", während Sperrabreden eine Einstellung selbst dann verhindern sollen, wenn die Initiative vom Arbeitnehmer ausgeht.
Abwerbeverbote oder Sperrabreden zwischen Arbeitgebern können grundsätzlich den Wettbewerb um die Arbeitskräfte beschränken. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos: So können in Einzelfällen no‑poach agreements als Nebenabreden in Unternehmensveräußerungen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen ausgenommen sein (sog. "ancillary restraints"), wenn sie die Übertragung des Unternehmenswerts und des vorhandenen Know-how sichern.
Austausch über Gehälter und sonstige wettbewerbssensible Informationen
Ebenfalls im Fokus von jüngsten Kartellverfahren, etwa in Ungarn und Litauen, stehen Gehaltsabsprachen ("wage fixing"). Dabei ist zu beachten, dass nicht nur Absprachen über Gehälter als solche, sondern – spiegelbildlich zu der Absprache über Verkaufspreise auf Absatzmärkten – auch Gehaltsbestandteile oder Gehaltsspannen als wettbewerbssensibel eingestuft werden können. So haben das Bundeskartellamt und die französische Autorité de la Concurrence bereits den Austausch von Wochenend- und Feiertagszuschlägen bzw. Boni mit Bußgeldern geahndet (als Annex zu weitergehenden Kartellabsprachen).
Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen: Je aktueller die Information und je häufiger der Austausch, desto eher werden Kartellbehörden eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung annehmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt grundsätzlich bereits die einseitige Offenlegung wettbewerbssensibler Informationen.
Kann einem Unternehmen eine wettbewerbsbeschränkende Absprache nachgewiesen werden, ist grundsätzlich im Einzelfall zu prüfen, ob die Wettbewerbsbeschränkung auch spürbar ist und, falls ja, ob sie aufgrund von Effizienzvorteilen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen freigestellt ist.
Der EuGH geht bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen in neuerer Rechtsprechung (Expedia-Urteil) stets von deren Spürbarkeit aus. Preisabsprachen im Angebotswettbewerb werden grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen eingestuft. Ob dieser Grundsatz auf Gehaltsabsprachen im Nachfragewettbewerb eins zu eins übertragbar ist, ist im Einzelfall zu untersuchen. Zu Recht hat der EuGH in seiner Budapest Bank‑Entscheidung klargestellt, dass der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eng auszulegen ist.
Die jüngsten Äußerungen von Kommissarin Vestager machen sehr deutlich, dass die EU Kommission voraussichtlich bereits einen konkreten Fall in den Fokus genommen hat, um durch die Einleitung eines Kartellverfahrens in Arbeitsmärkte ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Daher dürfen durchaus berechtigte Unsicherheiten in der Anwendung des EU Kartellrechts auf Absprachen im Personalbereich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Thema nunmehr in den Fokus der Kartellbehörden gerückt ist.
Zudem hat COVID‑19 einen Rückstau kartellrechtlicher Dawn Raids bewirkt. Kommissarin Vestager hat daher eine Serie von (international koordinierten) Dawn Raids ihrer Behörde für die nächsten Monate angekündigt. Unternehmen sollten sich daher auf erhöhte Aktivitäten der Kartellbehörden in diesem Bereich einstellen. Insbesondere sollten sie bei der Überprüfung ihrer kartellrechtlichen Compliance Management Systeme (siehe unser Beitrag hier) auch verstärkt das Personalressort in den Blick nehmen.
Autoren: Christian Ritz und Hubertus Weber.