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Gegenstand des Rechtsstreits war der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag eines Sportwettenanbieters. Geklagt hatte einer der Gründer und Gesellschafter des Unternehmens, der die Löschung seiner namentlichen Nennung als Gründer und Gesellschafter sowie Informationen zu Anteilsverkäufen aus dem Artikel verlangte. Mit ihrem richtungsweisenden und mittlerweile rechtskräftigen Urteil (Az. 26 O 15508/22) wies die Kammer die Klage vollumfänglich ab. Dem Kläger stünden die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung bzw. Löschung der unstreitig wahren Tatsachen weder aus einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch aus seinem Recht auf Vergessenwerden zu. Eine Haftung als Host-Provider scheide aus. Die zunächst eingelegte Berufung nahm der Kläger nach bestätigendem Hinweisbeschluss des
Oberlandesgerichts München (Az. 18 U 5076/23) zurück.
Keine Host-Provider Haftung
Das Landgericht stellte fest, dass die Wikimedia Foundation als neutraler Host-Provider nach den Grundsätzen der (mittelbaren) Störerhaftung nicht verpflichtet war, die beanstandeten Passagen nach Erhalt der Abmahnung des Klägers zu löschen. Prüf- und Löschpflichten träfen den Host-Provider nur bei konkretem Hinweis auf einen – ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Prüfung unschwer zu bejahenden Rechtsverstoß – woran es hier fehle. Eine umfangreiche Grundrechtsprüfung zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer Äußerung könne dem Host-Provider regelmäßig und insbesondere dann nicht abverlangt werden, wenn es sich um wahre Tatsachenbehauptungen handele. Die Kammer ließ offen, ob der Wikimedia Foundation im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise eine Abwägung zugemutet werden könne.
Erhebliches öffentliches Informationsinteresse überwiegt Persönlichkeitsrecht
Die Grundrechtsabwägung falle jedenfalls zu Gunsten der Wikimedia Foundation und des erheblichen öffentlichen Informationsinteresses aus. Insbesondere sei auf Seiten der Wikimedia Foundation zu berücksichtigen, dass es sich bei Wikipedia um eine weltweit freie Online-Enzyklopädie handele, die regelmäßig einer breiten Masse zu Recherchezwecken diene. An den dort eingestellten Artikeln besteht im Allgemeinen ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GG, 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Weiterhin könne die Wikimedia Foundation die Pressefreiheit für sich in Anspruch nehmen. Diese schütze grundsätzlich die Verbreitung von Informationen und damit auch das Recht, wahre Tatsachen zu publizieren. Mit dieser Gewährleistung korrespondiere insbesondere das Interesse der Öffentlichkeit an einer ausreichenden Versorgung mit Informationen. Maßgeblich für das überwiegende Informationsinteresse sei im vorliegenden Fall insbesondere die marktführende Stellung des Unternehmens im Bereich Sportwetten, der auf Grund der über lange Zeit rechtlich ungeklärten Situation im besonderen Blick der Öffentlichkeit stehe. Ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe hierbei auch an der Identifizierung und damit an der namentlichen Nennung der Verantwortlichen. Denn im Bereich der Sportwetten stelle sich seit jeher die Frage der Zuverlässigkeit der Anbieter in besonderem Maße. Für solche unternehmerischen Tätigkeiten bestehe ein öffentliches Bedürfnis an Transparenz. Die Öffentlichkeit habe gerade hier ein Recht darauf, zu erfahren, wer hinter diesem bedeutenden Unternehmen stecke. Das Oberlandesgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ergänzend klargestellt, dass auch die unmittelbar betroffene Meinungsfreiheit der Verfasser der Beiträge zu Gunsten der Wikimedia Foundation in die Abwägung einzustellen sei. Der Wikimedia Foundation dürfe insoweit nichts aufgegeben werden, was Grundrechte Dritter verletze. Der Meinungs- und Informationsfreiheit – so das Landgericht München – komme auf Grund ihres Charakters als demokratische Grundrechte ein hoher Stellenwert zu, sodass für ein Überwiegen eines kollidierenden Rechtsgutes gewichtige Gründe erforderlich seien. Die Kammer vermochte nicht zu erkennen, dass der Eintrag diese hohe Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung insoweit überschreitet, dass ein Persönlichkeitsschaden entsteht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Die vom Kläger pauschal behaupteten Sicherheitsgefahren und Auswirkungen auf sein soziales Umfeld sowie sein Wunsch nach Anonymität und einem zurückgezogenen Leben reichten hierfür nicht aus.
Kein "Recht auf Vergessenwerden"
Auch den vom Kläger erst "auf den letzten Metern" geltend gemachten Löschungsanspruch aus Art. 17 DSGVO lehnte das Gericht ab. Es spreche bereits vieles dafür, dass die Datenschutzgrundverordnung auf die in den USA ansässige Wikimedia Foundation bereits räumlich nicht anwendbar sei. Im Ergebnis könne dies jedoch dahinstehen, da auch die nach Art. 17 Abs. 3 DSGVO gebotene Interessenabwägung zu Gunsten des Grundrechts auf freie Information und damit der Wikimedia Foundation ausgehe; ein Löschungsanspruch bestehe daher nicht.
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Die Wikimedia Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Kalifornien, die die Infrastruktur für verschiedene Wissensprojekte bereitstellt, darunter die kostenlose Online-Enzyklopädie Wikipedia. Wikipedia wird von Freiwilligen aus aller Welt, der Wikipedia-Community, erstellt und bearbeitet.
Hogan Lovells hat die Wikimedia Foundation Inc. als Beklagte in dem Verfahren vertreten. Das Team um Dr. Morten Petersenn und Katharina Schwalke ist regelmäßig für die Wikimedia Foundation Inc. in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten tätig.
Hogan Lovells Team für die Wikimedia Foundation Inc.
Dr. Morten Petersenn (Partner, Hamburg), Katharina Schwalke, LL.M. (King's College London) (Senior Associate, Hamburg)