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Muss eine Einzelhandelsfiliale aufgrund eines behördlich angeordneten landesweiten Lockdowns schließen, steht den dort beschäftigten Mitarbeitern kein Vergütungsanspruch zu. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer richtungsweisenden Entscheidung vom 13. Oktober 2021.
Die Klägerin war in einem Geschäft für Nähmaschinen und Zubehör als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von EUR 432,00 im Verkauf tätig. Im April 2020 wurde das Geschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen geschlossen.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Vergütung für den Monat April 2020. Sie war der Auffassung, die behördlich angeordnete Betriebsschließung sei ein Fall des von der beklagten Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos.
Das BAG lehnte, anders als die Vorinstanzen, den Vergütungsanspruch der Klägerin ab.
Der Arbeitgeber trage jedenfalls dann nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor SARS-CoV-2 durch behördliche Anordnung in einem Bundesland nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In solchen Fällen realisiere sich nämlich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko.
Der Ausgleich von finanziellen Nachteilen, die den Beschäftigten durch die Anordnung nahezu flächendeckender Betriebsschließungen entstehen, sei Aufgabe des Staates. Dem diene insbesondere das Kurzarbeitergeld.
Einer der zentralen arbeitsrechtlichen Grundsätze lautet: „Ohne Arbeit kein Lohn“. Gleichwohl kennt das Arbeitsrecht einige Ausnahmen von diesem Grundsatz, so z.B. im Fall der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG.
Eine weitere Ausnahme ist das sog. Betriebsrisiko. Danach bleibt der Arbeitgeber zur Lohnzahlung verpflichtet, wenn er die Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann. Grund hierfür ist, die gleichmäßige Verteilung von Gewinnchance und Verlustrisiko: Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer im Betrieb gewinnbringend einzusetzen und die „Früchte des Erfolgs“ zu ernten. Umgekehrt trägt er aber auch das Risiko, die Arbeitsleistung der Beschäftigten nicht annehmen und verwerten zu können. Praktische Relevanz erlangt die Betriebsrisikolehre regelmäßig, wenn ein Betrieb infolge einer Naturkatastrophe oder eines Brandes zerstört oder zumindest derart beschädigt wird, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht erbringen kann.
Ob ein landesweit angeordneter Lockdown mit Schließung des Einzelhandels ein Fall des Betriebsrisikos des Arbeitgebers ist, war in der juristischen Fachliteratur bis zuletzt höchst umstritten.
Das BAG hat diese Frage zugunsten der Arbeitgeber entschieden. Soweit die Unmöglichkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung die Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Gefahrenabwehr und -bekämpfung für die gesamte Gesellschaft ist, hat hierfür nicht der Arbeitgeber einzustehen. Das Risiko pandemiebedingter Betriebsschließungen muss vielmehr die Gesellschaft als Ganze tragen.
Mit seiner ersten Entscheidung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beantwortet das BAG die wichtige Frage der Vergütungspflicht bei pandemiebedingten Betriebsschließungen. Diese Rechtsprechung dürfte erst der Auftakt für die Klärung weiterer äußerst praxisrelevanter Fragen sein. Die Pandemie stellt Arbeitgeber weiterhin vor Herausforderungen, beispielsweise hinsichtlich ihres Fragerechts nach dem Impfstatus der Arbeitnehmer oder bei der Umsetzung von „2G-Regeln“ im Betrieb. Es bleibt abzuwarten, inwieweit auch diese Rechtsfragen im Laufe der Zeit höchstrichterlich entschieden werden.
Verfasst von: Annika Weber und Robin Steiner.