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Die Möglichkeit, geografische Angaben als Kollektiv- oder Individualmarke zu schützen, steht grundsätzlich selbständig neben dem System zum Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen nach der EU-Verordnung Nr. 1151/2012. Dies entschied kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Auseinandersetzung um die deutschen geografischen Kollektivmarken „Hohenloher Landschwein“ und „Hohenloher Weiderind“ (BGH, Urteil vom 29.7.2021 - I ZR 163/19 u.a.).
Die Klägerin, eine bäuerliche Erzeugergemeinschaft mit ca. 1450 Mitgliedern, ist Inhaberin der deutschen Kollektivmarken „Hohenloher Landschwein“ und „Hohenloher Weiderind“. Die Bezeichnungen sind nicht als geografische Angaben oder Ursprungsbezeichnungen nach der EU-Verordnung Nr. 1151/2012 eingetragen. Die Klägerin ging im Jahr 2016 gegen eine regionale Metzgerei vor. Diese warb für ihre Fleischwaren mit den Bezeichnungen „Hohenloher Landschwein“ und „Hohenloher Weiderind“, ohne Mitglied der Erzeugergemeinschaft zu sein. Die Klägerin sah hierdurch ihre Markenrechte verletzt und klagte nach erfolgloser Abmahnung vor dem Landgericht Stuttgart.
Gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil (LG Stuttgart, Urt. v. 3.4.2018, 17 O 1532/16) ging die Klägerin erfolgreich in Berufung. Das OLG Stuttgart (OLG Stuttgart, Urt. v. 25.7.2019, 2 U 73/18) wies in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass die Beklagte nicht die Erzeugerrichtlinien einhalte. Dennoch nutze sie für ihre Fleischwaren die mit den Kollektivmarken identischen Zeichen „Hohenloher Landschwein“ und „Hohenloher Weiderind“. Entgegen der Auffassung des LG Stuttgart stehe den markenrechtlichen Ansprüchen der Klägerin auch nicht die Schutzschranke des § 100 Abs. 1 MarkenG entgegen, wonach die Eintragung einer geografischen Angabe als Kollektivmarke ihrem Inhaber nicht das Recht gewährt, einem Dritten die Benutzung der von der Kollektivmarke erfassten Angaben im geschäftlichen Verkehr zu untersagen, sofern die Benutzung den guten Sitten entspricht und nicht gegen § 127 MarkenG verstößt, der den Schutzinhalt der geographischen Herkunftsangaben regelt. Die vom LG Stuttgart insoweit angenommene Sperrwirkung der Unionsverordnung über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (VO (EU) 1151/2012) bestehe nicht. Zudem erfolge die Benutzung identischer Zeichen ohne jeglichen Zusatz zur Abgrenzung von den Kollektivmarken der Klägerin nicht im Einklang mit den guten Sitten. Es sei der Beklagten nur darum gegangen, den Sog der werbewirksamen Marke verkaufsfördernd auszunutzen. Die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Der BGH bestätigt die vom OLG Stuttgart angenommene Verletzung der klägerischen Kollektivmarken.
Auch nach Ansicht des BGH greift die Schutzschranke des § 100 Abs. 1 MarkenG nicht zugunsten der Beklagten ein. Die EU-Verordnung 1151/2012 zum Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen entfalte keine Sperrwirkung gegenüber § 100 Abs. 1 MarkenG. Der Schutz (geografischer) Kollektivmarken nach dem auf der Markenrichtlinie beruhenden, vollharmonisierten Recht der Mitgliedstaaten bestehe vielmehr selbständig neben dem Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen, den die Verordnung gewähre. Dies ergebe sich insbesondere aus Art. 14 der Verordnung, wonach der Verordnungsgeber den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt habe, weiterhin Marken mit Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben einzutragen. Gem. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung sei eine Markeneintragung erst dann abzulehnen, wenn ein Antrag auf Schutz der geografischen Angabe bei der Europäischen Kommission gestellt worden sei. Die Verordnung ziele lediglich darauf ab, die Eintragung von Marken zu verhindern, die mit nach der Verordnung eingetragenen geografischen Angaben oder Ursprungsbezeichnungen kollidierten. Da die Anmeldung der Zeichen „Hohenloher Landschwein“ und „Hohenloher Weiderind“ als Kollektivmarken bereits 2011, und somit sogar bereits vor Inkrafttreten der Verordnung im Jahr 2012 erfolgte, und da diese Begriffe überdies auch nicht als regionale Herkunftsangaben geschützt seien, werde der Schutzrahmen der Kollektivmarken vorliegend nicht durch die Verordnung beeinflusst.
Für die Frage, ob die Benutzung einer geografischen Angabe den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel bzw. den guten Sitten im Sinne von § 100 Abs. 1 Satz 1 MarkenG entspreche, sei zu prüfen, ob der Dritte den berechtigten Interessen des Markeninhabers in unlauterer Weise zuwiderhandele. Um dies beurteilen zu können, sei eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Dabei seien u.a. auch die Anstrengungen zu würdigen, die der Dritte unternommen habe, um sicherzustellen, dass Verbraucher seine Waren von denen des Markeninhabers unterscheiden könne. Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte die Zeichen in identischer Form genutzt, ohne dem angesprochenen Verbraucher durch irgendeinen Hinweis auch nur ansatzweise zu verdeutlichen, dass ihre Produkte nicht von einem Mitglied der Klägerin stammten. Dies sei nach Auffassung des I. Zivilsenats auch zur Ausnutzung der Wertschätzung der Kollektivmarken erfolgt. Der Beklagten sei es nicht primär um die Verwendung der Bezeichnungen als geografische Angabe gegangen, sondern darum, den guten Ruf der Kollektivmarken verkaufsfördernd auszunutzen. Im Ergebnis blieb die Revision daher ohne Erfolg.
Die Entscheidung des BGH macht insbesondere zwei Punkte deutlich: Zum einen steht der nationale markenrechtliche Schutz von geographischen Herkunftsangaben grundsätzlich selbständig neben dem durch das System der Verordnung Nr. 1151/2012 garantierten Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen. Zum anderen dürfen geographische Herkunftsangaben, die Teil einer Kollektivmarke nach den §§ 97 ff. MarkenG sind, grundsätzlich auch von solchen Dritten benutzt werden, die nicht zu den berechtigten Kollektivmitgliedern gehören, sofern die Benutzung nicht gegen die guten Sitten verstößt. Ob ein Sittenverstoß anzunehmen ist, hängt dabei maßgeblich auch von der konkreten Gestaltung der geographischen Herkunftsangabe ab. Zur Vermeidung einer Irreführung der Verbraucher und der damit verbundenen rechtliche Risiken sollte der Hinweis einen möglichst großen Abstand zur fraglichen Kollektivmarke einhalten.
Verfasst von Thorsten Klinger und Patrick Fromlowitz