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Mit der Reform des Energiesicherungsgesetzes schafft der Gesetzgeber umfangreiche neue Regelungen und Handlungsmöglichkeiten zur Sicherung der Energieversorgung im Krisenfall. Betreiber kritischer Infrastruktur im Energiesektor können künftig unter Treuhandverwaltung gestellt oder gar enteignet werden, wenn sie ihren Aufgaben zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit nicht ausreichend nachkommen. Dies kann auch Auswirkungen auf die Geschäftspartner von solchen Unternehmen haben.
Sollten Gaslieferungen nach Deutschland ausbleiben oder drastisch gekürzt werden, erhalten die Energieversorger entlang der gesamten Lieferkette künftig ein Recht zur Preisanpassung. Dadurch würden gestiegene Beschaffungskosten auf alle Energieverbraucher umgelegt. Dies soll eine finanzielle Schieflage der Importeure verhindern, die kaskadenartige Auswirkungen auf den gesamten Energiemarkt haben könnte. Weitere Änderungen betreffen den EU-Solidaritätsmechanismus sowie die Sicherung des Betriebs deutscher Gasspeicher.
Kaum ein Thema beschäftigt die deutsche Industrie und den Energiesektor derzeit so sehr wie die Ukraine-Krise und die Konsequenzen für die kritische Infrastruktur in Deutschland. Vor diesem Hintergrund und zur Sicherung der Energieversorgung und Krisenbewältigung auf den Energiemärkten soll die Bundesregierung zusätzliche Handlungsmöglichkeiten erhalten. Dazu hat der Deutsche Bundestag am Donnerstag, 12.05.2022, eine umfangreiche Reform des sog. Energiesicherungsgesetzes beschlossen.
Das Gesetz, das aus der Zeit der ersten Ölkrise in den 1970er Jahren stammt, enthielt bereits in seiner bislang geltenden Fassung umfangreiche Ermächtigungen der Exekutive zum Erlass von Maßnahmen im Falle einer Energiekrise. Das Energiesicherungsgesetz wird nunmehr um umfangreiche weitere Ermächtigungen ergänzt, um zusätzlichen Handlungsspielraum für eine mögliche Verschärfung der derzeitigen Lage zu schaffen. Insbesondere können Betreiber kritischer Infrastruktur künftig unter eine Treuhandverwaltung gestellt oder als letztes Mittel sogar enteignet werden. Außerdem wird ein gesetzliches Preisanpassungsrecht für Gashandels- und Gasversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette zur Vermeidung von Kaskadeneffekten im Falle ausfallender Gasimporte eingeführt. Weitere Änderungen betreffen den europäischen Solidaritätsmechanismus sowie die Sicherung des Betriebs deutscher Gasspeicher.
Die Reform kann auch Auswirkungen auf Geschäftspartner von Unternehmen haben, die in Deutschland kritische Energieinfrastruktur betreiben. Durch die Regelung zur Preisanpassung würden gestiegene Beschaffungskosten im Krisenfall auf alle Energieverbraucher umgelegt, ein kaskadenartiger Zusammenbruch der Energieversorgung aber zugleich verhindert.
Das Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung ("EnSiG") wurde 1973 als Reaktion auf die erste Ölkrise beschlossen. Es ermächtigt die Bundesregierung, im Fall einer Störung oder Gefährdung der Energieversorgung Rechtsverordnungen zu erlassen, um die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie zu sichern. Dies umfasst insbesondere den Erlass von Vorschriften über die Produktion, den Vertrieb und die Verwendung von Energien und Energieträgern aller Art. Zudem können die Abgabe und die Verwendung von Energie zeitlich, örtlich oder mengenmäßig beschränkt werden. Ausdrücklich möglich sind auch der Beschluss von Höchstpreisen für Energien sowie Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverbote für Kraftfahrzeuge – so bildete das Gesetz auch die Rechtsgrundlage für die "autofreien Sonntage" im November und Dezember 1973. Die bisherige Fassung des EnSiG war seit 1975 im Wesentlichen unverändert in Kraft.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat in den vergangenen Wochen zu den wohl erheblichsten Verwerfungen auf den globalen Energiemärkten seit den Ölkrisen 1973 und 1979/80 geführt. Die hohe Abhängigkeit Deutschlands von Energielieferungen aus Russland, insbesondere von Erdgas, hat die ohnehin schon angespannte Versorgungslage weiter verschärft. Zugleich zeigt sich, dass der bisherige Rechtsrahmen den Herausforderungen der derzeitigen Krise nicht gewachsen ist. Einzelmaßnahmen gegenüber bestimmten Marktakteuren oder Betreibern kritischer Infrastruktur, etwa Betreiber von LNG-Anlagen oder Gasspeichern, waren im EnSiG bislang nicht ausdrücklich vorgesehen. Die Bundesregierung stützte die Anordnung der Treuhandverwaltung über die Gazprom Germania GmbH auf eine Regelung des Außenwirtschaftsgesetzes.
Mit der vom Bundestag nun beschlossenen Änderung des EnSiG werden bereits bestehende Verordnungsermächtigungen präzisiert und ergänzt sowie zusätzliche Handlungsmöglichkeiten geschaffen. Zugleich werden Bestimmungen zur Durchführung europarechtlicher Regelungen zur Sicherung der Gasversorgung und zur Solidarität im Krisenfall, insbesondere der Verordnung (EU) Nr. 2017/1938, neu geschaffen. Das Änderungsgesetz bedarf noch der Zustimmung des Bundesrats, mit der jedoch zeitnah gerechnet wird.
Durch das vom Bundestag beschlossene Änderungsgesetz wird eine Reihe neuer Befugnisse und Regelungen geschaffen. Im Fokus steht dabei die Reform des Energiesicherungsgesetzes:
Neben dem Energiesicherungsgesetz wird auch das Energiewirtschaftsgesetz ("EnWG") an drei Stellen ergänzt:
Mit der Novelle des EnSiG wird die Bundesregierung für eine weitere Verschärfung der Lage auf den Energiemärkten mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten ausgestattet. Besondere Bedeutung haben insoweit die Anordnung der staatlichen Treuhandverwaltung oder gar Enteignung von Betreibern kritischer Energieinfrastruktur, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass das betreffende Unternehmen seine gemeinwohldienlichen Aufgaben im Energiesektor nicht mehr erfüllen wird. Hiervon erfasst werden Fälle, in denen inländische Tochterunternehmen von ausländischen Muttergesellschaften "aufgegeben" werden (wie im Fall der Gazprom Germania GmbH); die Maßnahmen sind jedoch nicht auf solche Fälle beschränkt. Die neuen Eingriffsbefugnisse bestehen vielmehr unabhängig vom Sitz der betroffenen Gesellschaft oder deren Gesellschaftern und sind allein darauf gerichtet, die Energieversorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten.
Die Treuhandverwaltung oder Enteignung kann auch für Geschäftspartner der betroffenen Unternehmen vorteilhaft sein. Die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs durch den deutschen Staat verhindert eine Insolvenz des Unternehmens und gewährleistet die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Dritten. Zugleich wird etwaigen ausländischen Anteilseignern zumindest vorübergehend der Einfluss auf ihre deutschen Unternehmen und deren Vermögen entzogen. Geschäftspartner sind somit nicht aus eigenen sanktionsrechtlichen Pflichten gezwungen, ihre Geschäftsbeziehung mit den betroffenen deutschen Gesellschaften unmittelbar zu beenden. Mit Auslaufen der Treuhandverwaltung erlangen die Anteilseigner jedoch die Kontrolle über die betroffenen Unternehmen vollständig zurück, sodass etwa die Wirkung bestimmter Sanktionen wieder aufleben könnte.
Anders liegt es im Fall einer Enteignung: Die betroffenen Unternehmen erhalten mit dem deutschen Staat vorübergehend einen neuen Eigentümer. Dies kann entsprechende Folgen für bestehende Vertragsverhältnisse nach sich ziehen, etwa mit Blick auf sog. Change of Control-Klauseln und damit verbundene Kündigungsrechte. Unternehmen, deren Anteile enteignet werden, sollen letztlich aber wieder privatisiert werden, wie das Gesetz ausdrücklich vorsieht.
Es lohnt sich, bereits jetzt im Rahmen eines Vertragsmanagement die geplanten Änderungen eng zu "monitoren".
verfasst von: Dr. Tobias Faber, Dr. Stefan Schröder, Tina Schantz, LL.M.