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Der EuGH hat mit Urteil vom 12. September 2019 (C-541/18) entschieden, dass die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens auch unter Berücksichtigung sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke zu prüfen ist. In der betreffenden Branche zwar denkbare, aber praktisch nicht bedeutsame Verwendungsarten seien dabei (weiter) regelmäßig als irrelevant einzustufen.
Im Jahr 2015 meldete die Klägerin das Zeichen #darferdas? als Marke für „Bekleidungsstücke, insbesondere T‑Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen“ an. Das DPMA wies die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde beim BPatG war erfolglos. Das genannte Zeichen stelle eine zusammenhängende Zeichen- und Wortfolge dar, die sich im Wesentlichen aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache zusammensetze. Der eingebundene Hashtag fordere den Verkehr lediglich dazu auf, über die Frage „Darf er das?“ zu diskutieren. Diese Frage, insbesondere wenn sie sich auf der Vorderseite von T‑Shirts befinde, nehme der Verkehr nicht als Herkunftshinweis, sondern vielmehr als bloße Formulierung einer Frage auf.
In der Folge legte die Klägerin Rechtsbeschwerde zum BGH ein. Dieser kam zu der Auffassung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Verwendung des streitgegenständlichen Zeichens auf der Vorderseite von Kleidungsstücken nur eine von mehreren Verwendungsformen darstelle. So könne das Zeichen etwa auch auf dem eingenähten Etikett von Kleidungsstücken angebracht und dann als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren wahrgenommen werden. Nach der BGH-Rechtsprechung genüge es, wenn es naheliegende und praktisch bedeutsame Verwendungsmöglichkeiten gebe, infolge derer das Zeichen vom Verkehr ohne Weiteres als Marke verstanden werde. Zweifel bestünden jedoch an der Vereinbarkeit dieser Sichtweise mit den einschlägigen unionsrechtlichen Regelungen.
Die Karlsruher Richter haben dem EuGH daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Hat ein Zeichen Unterscheidungskraft, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt?
Der EuGH bejaht die Vorlagefrage im Grundsatz.
Ob ein Zeichen Unterscheidungskraft habe, sei anhand seiner Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen. Dabei seien alle relevanten Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen. Der Anmelder einer Marke müsse zum Zeitpunkt seiner Markenanmeldung oder deren Prüfung allerdings weder angeben noch genau wissen, wie er die angemeldete Marke im Fall ihrer Eintragung benutzen werde. Daher könnten sich die zuständigen Behörden für die Bestimmung der wahrscheinlichen Verwendung der angemeldeten Marke – und somit für die Art und Weise, in der die Marke bei Eintragung den maßgeblichen Verkehrskreisen wahrscheinlich präsentiert werden wird – auch an den bisher in der betreffenden Branche üblichen Kennzeichengewohnheiten orientieren. Bei mehreren üblichen Verwendungsarten seien diese jeweils darauf hin zu prüfen, ob der Verkehr das in Rede stehende Zeichen als Marke wahrnehme. In der betreffenden Branche zwar denkbare, aber praktisch nicht bedeutsame Verwendungsarten seien jedoch grundsätzlich als irrelevant einzustufen.
In Bezug auf die Bekleidungsbranche habe der BGH festgestellt, dass es üblich sei, die Marke sowohl auf der Außenseite der Ware als auch auf dem eingenähten Etikett auf der Innenseite anzubringen. Es sei nun Sache des nationalen Gerichts, zu ermitteln, ob der Durchschnittsverbraucher das Zeichen #darferdas?, wenn er es auf der Vorderseite eines T‑Shirts oder auf dem Etikett auf dessen Innenseite sehe, als Hinweis auf die betriebliche Herkunft dieser Ware wahrnehme oder lediglich als dekoratives Element oder Botschaft sozialer Kommunikation.
Vor dieser Entscheidung stellte der EuGH im Rahmen der Prüfung der Unterscheidungskraft auf die wahrscheinlichste Benutzung der Marke ab (vgl. EuGH, GRUR 2013, 519 (521) – Deichmann SE, Rn. 55). Dies wurde dahingehend ausgelegt, dass die Unterscheidungskraft eines Zeichens zu verneinen sei, wenn die wahrscheinlichste Benutzung der Marke nicht markenmäßig erfolge, selbst wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende andere markenmäßige Benutzungsmöglichkeiten für das Zeichen gebe. Mit der vorliegenden Entscheidung erkennt der EuGH nunmehr an, dass praktisch bedeutsame und naheliegende Benutzungsformen der jeweiligen Branche ebenfalls im Rahmen der Prüfung der Unterscheidungskraft des Zeichens zu berücksichtigen sind. Dies entspricht der Auffassung des BGH.
Der EuGH erklärt darüber hinaus, dass die vorgenannte Deichmann-Entscheidung nur noch für die Fälle relevant bleibt, in denen in der betreffenden Branche nur eine Verwendungsart praktisch bedeutsam ist.
Nikolaus von Bargen und Sabrina Mittelstaedt