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Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in einem Hinweisbeschluss bereits im vergangenen September entschieden, dass Mieter während der COVID-19-Pandemie nicht davon ausgehen dürfen, dass nach Abschluss eines pandemiebedingten Nachtrags zum Mietvertrags § 313 BGB weiterhin zur Anwendung gelangen könne, wenn es in den nachfolgenden Monaten wiederum zu staatlichen Pandemiemaßnahmen komme. Im konkreten Fall stellte das OLG dabei fest, dass die Mieterin das Risiko trug, dass keine weiteren, in die Zukunft gerichteten Regelungen zu Mietnachlässen für pandemiebedingte Einschränkungen getroffen wurden.
In Zeiten der COVID-19-Pandemie wurden von vielen Mietern und Vermietern in höchster Eile Nachträge „mit heißer Nadel“ gestrickt, um die Auswirkungen der Pandemie und insbesondere damit einhergehender staatlicher Beschränkungen auf das jeweilige Mietverhältnis in geordnete Verhältnisse zu bringen. Die Nachträge umfassten dabei zwar häufig „lediglich“ Mietzinsstundungen, jedoch auch zeitweise Mietminderungen und monatelange Mietverzichte. Häufig hatten diese jedoch eins gemeinsam: sie wurden lediglich für einen bestimmten – meist in der Vergangenheit liegenden - Zeitraum geschlossen. Für zukünftige Zeiten ging man davon aus, dass noch andere Möglichkeiten zur Verfügung stünden, etwa die Mietminderung nach § 535 BGB oder eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB. Insbesondere weil niemand auch nur im Ansatz voraussehen konnte, wie sich die Pandemie über die Jahre entwickelt. Dies könnte jetzt Mietern zum Verhängnis werden. Der BGH musste sich hierzu bislang noch nicht äußern. Das OLG Düsseldorf musste sich jedoch auf die Berufung einer betroffenen Mieterin im vergangenen September hin mit dieser Fragestellung auseinandersetzen und veröffentlichte einen Hinweisbeschluss, der aufhorchen lässt.
Die Parteien schlossen Mitte Mai 2020 einen Nachtrag zu einem gewerblichen Mietvertrag. Darin wurde unter anderem aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die Miete für die Monate Juni bis einschließlich September 2020 reduziert und die Mietzahlungen für April und Mai 2020 vollständig erlassen. Die Mieterin zahlte jedoch auch für die nach dem durch den Nachtrag geregelten Zeitraum liegenden Monate Februar und März 2021 keine Miete. Diese Monate waren ebenfalls von staatlich angeordneten Schließungsmaßnahmen betroffen. Die Vermieterin klagte daraufhin vor dem LG Kleve auf Zahlung der ausstehenden Mieten dieser beiden Monate und obsiegte.
Abgesehen davon, dass – ganz im Einklang mit der mittlerweile höchstrichterlichen Rechtsprechung – ein Mietmangel bei staatlichen Schließungsanordnungen nicht angenommen werden könne, lagen nach Ansicht des LG Kleves (Urteil vom 24.06.2021 – 8 O 39/21) die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB nicht vor. Gemäß § 313 BGB kann eine Anpassung des Vertrags nur verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, und soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Nach Auffassung des Gerichts seien im konkreten Fall aber nicht die Umstände und Vorstellungen aus dem Jahr 2008 (Abschluss des Mietvertrages) für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 313 BGB maßgeblich heranzuziehen gewesen, sondern jene bei Abschluss des Nachtrags im Mai 2020, da hierdurch auch umfangreiche Neuregelungen zur Miethöhe getroffen worden seien. Bei Abschluss des Nachtrags habe bereits eine Pandemielage bestanden, die, so das Gericht, „offenkundig weiter bestehen“ werde, und damit zugleich eine damit einhergehende Gefahr weiterer behördlicher Einschränkungen. Die Verwirklichung dieser „für jeden ersichtlichen“ Risiken rechtfertige keine nachträgliche Vertragsanpassung, sondern sei von jeder der Vertragsparteien bei Abschluss des Nachtrages zu berücksichtigen gewesen. Das Risiko, dass keine weiteren Regelungen zu Mietnachlässen für pandemiebedingte Einschränkungen im Jahr 2021 getroffen würden, trage nach dem Beschluss des Landgerichts daher allein die Mieterin.
Die darauf eingelegte Berufung der Mieterin war für das OLG Düsseldorf offenkundig ohne Aussicht auf Erfolg, weshalb der Hinweisbeschluss erlassen wurde. Ein solcher gerichtlicher Hinweis ist gesetzlich nur dann vorgesehen, wenn das Berufungsgericht einstimmig von der offensichtlichen Aussichtslosigkeit überzeugt ist (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Zur Begründung führte das Gericht an, dass bei Vereinbarungen zur Miethöhe in Form eines Nachtrages während der COVID-19-Pandemie die Voraussetzungen für eine (erneute) Anpassung des Vertrages nicht mehr vorlägen, wenn anschließend nachteilige Umstände (z.B. Geschäftsschließungen, Kontaktbeschränkungen, allgemeine Kaufzurückhaltung etc.) einträten, die auf der COVID-19-Pandemie beruhen. Zum Zeitpunkt des Nachtrags zeichnete sich nach Auffassung des Gerichts bereits ab, dass die COVID-19-Pandemie voraussichtlich auch über den von den Parteien im Nachtrag abgedeckten Zeitraum hinaus nicht überwunden sein würde. Die Beklagte habe somit jedenfalls zu diesem Zeitpunkt um die Gefahr gewusst, dass aufgrund hoheitlicher Beschränkungen Geschäftsschließungen erfolgen bzw. Zugangsbeschränkungen mit strengen Hygienemaßnahmen angeordnet werden könnten, zumal solche zeitlich unmittelbar vorausgehend bereits erfolgt waren. Aufgrund der konkret-individuellen Vorhersehbarkeit der Störung lägen die Voraussetzungen für eine Störung der Geschäftsgrundlage und eine entsprechende Anpassung des Vertrages jedenfalls nach Abschluss des Nachtrages nicht mehr vor.
Der Beschluss unterstellt, dass im Zeitpunkt der Nachtragsschließung, also im Mai 2020, die Auswirkungen und Dauer der Pandemie einer breiten Öffentlichkeit in einer Weise bekannt gewesen seien, dass es nahezu an Naivität grenzen musste, pandemiebedingte Nachträge nur für wenige Monate vorauszuplanen. Doch war dem wirklich so?
Blicken wir zurück in die Anfangszeit der COVID-19-Pandemie: Im Februar 2020 erreichte das Virus Deutschland. Die ersten Experten äußerten sich zu den kommenden Gefahren. Lothar Wieler, Präsident des RKI, sagte auf einer Pressekonferenz, dass das Coronavirus „wie eine schwere Grippewelle“ durch Deutschland laufen werde. Clemens Wendtner, Chefarzt an der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, nahm an, dass "Corona auf keinen Fall gefährlicher als Influenza" sei. Ebenso mahnte Hendrik Streeck, Virologe, im März 2020, das Virus nicht zu überschätzen.
Es gab aber natürlich auch Warnungen. So sagte Christian Drosten, ebenfalls Virologe, im März 2020 in einem Interview mit dem Stern, dass er nicht daran glaube, dass „wir in irgendeiner absehbaren Zeit wieder Fußballstadien voll machen. Das wird es bis nächstes Jahr um diese Zeit nicht geben.“ Im März 2020 wurden sodann die ersten staatlichen Beschränkungen angeordnet. Großveranstaltungen wurden verboten und in einigen Bundesländern kam es zu Schul- und Geschäftsschließungen. Ab dem 22. März 2020 dann der Lockdown in Deutschland einhergehend mit strengen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Cafés, Kneipen, Restaurants, aber auch Friseure mussten schließen.
Im April 2020 folgte sodann zunächst ein Aufatmen – die ersten Lockerungen traten in Kraft. Viele Bundesländer erlaubten wieder das Einkaufen in Geschäften, der Schulbetrieb wurde teilweise wieder aufgenommen. Und auch für Mieter und Pächter brachte der April Erleichterung: Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden Neufassung des Art. 240 EGBGB mussten sie zunächst keine Kündigung wegen Mietrückständen aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie fürchten. Bis zum 30. Juni 2020 galt das Kündigungsmoratorium. Gleichzeitig warnte Drosten im April 2020 aber, dass es zu einem 2. Lockdown im Winter kommen könnte. Auch Jens Spahn, ehemaliger Bundesgesundheitsminister, erwartete im April 2020, dass die Abstandsregeln und verschärften Hygieneregeln noch „über Monate“ eingehalten werden müssten. Am 4. Mai 2020 endete schließlich der 1. Lockdown.
Eins hatten die Monate zu Beginn der Pandemie aber gemeinsam: die Lage änderte sich tagtäglich. Bevölkerung und Politik mussten schnell agieren und reagieren. Einen Überblick zu bewahren – von verschiedenen Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern, über monetäre Corona-Hilfen bis hin zu unterschiedlichsten Expertenmeinungen – gestaltete sich für die Allgemeinheit jeher schwierig.
Daher ist es umso überraschender, dass im vorliegenden Fall beide Gerichte in den Monaten Juni 2021 bzw. September 2022 einhellig davon ausgingen, dass für die Vertragsparteien offenkundig ersichtlich hätte sein müssen, dass die Pandemie über eine lange Zeit bestehen bleiben würde, und dies in einem solch gravierenden Ausmaß, dass Mietanpassungen quasi unumgänglich sein würden. Unterlagen die Gerichte etwa dem sogenannten "Hindsight Bias"? Dieses psychologische Phänomen beschreibt die rückblickende Überschätzung der Vorhersagbarkeit eines Ereignisses. Während man in der Vorausschau den Ausgang einer Situation für kaum einschätzbar hielt, kommt einem im Rückblick die gleiche Situation sehr viel klarer vor. Zwar setzte sich das OLG auch mit Aussagen einiger Virologen zu Pandemiebeginn auseinander, jedoch recht einseitig und ohne Berücksichtigung des Chaos, welches damals herrschte und sicherlich vielen im Gedächtnis geblieben ist.
Bisher existiert keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage. Viele Gerichte dürften aber sicherlich in naheliegender Zukunft die Gelegenheit haben, sich mit der Frage der Anwendbarkeit des § 313 BGB nach einem pandemiebedingten Nachtrag zum Mietvertrag auseinanderzusetzen. Denn viele Mietforderungen aus den Jahren 2020 und 2021 wurden bis heute ganz oder teilweise nicht beglichen. Mit Ablauf des 31. Dezember 2023 verjähren jedenfalls ausstehende Mietforderungen aus dem Jahr 2020, wenn Vermieter nicht tätig werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Mietvertragsparteien vertraglich eine andere Verjährungsfrist vereinbart haben oder die Mietforderung gestundet wurde. Daher dürften sich die Klagen mehren, mit denen Vermieter ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen, um einen Eintritt der Verjährung zu hemmen.
Ob diese so einfach Erfolg haben werden, sobald es bereits einen pandemiebedingten Nachtrag gab, würde voraussetzen, dass für alle Richter im Rückblick die Lage so klar gewesen sei, wie für die Richter am OLG Düsseldorf. Letztendlich bleibt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes abzuwarten. Im vorliegenden Fall wird es hierzu nicht kommen, da die Berufung nach Erlass dieses Hinweisbeschlusses zurückgenommen wurde.
Verfasst von Ulrike Janssen und Vanessa Kelz.