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Zusammenfassung der bisher ergangenen Rechtsprechung zu § 313 Abs. 1 BGB
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wird sich am 01.12.2021 mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der Covid-19 Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet bleibt. Das in dieser Streitsache befasste OLG Dresden (U. v. 24.02.2021 - 5 U 1782/20; LG Chemnitz, U. v. 26.08.2020 – 4 O 639/20) verurteilte einen Mieter, der aufgrund einer Allgemeinverfügung sein Einzelhandelsgeschäft im Zeitraum zwischen dem 19. März 2020 und 19. April 2020 schließen musste und daraufhin für den Monat April 2020 keine Miete entrichtete, nur zur Zahlung der hälftigen Miete.
Während eine Vielzahl der ergangenen Entscheidungen eine Vertragsanpassung in ähnlichen Fällen ablehnte, waren die Gerichte übereinstimmend der Auffassung, dass eine behördliche Schließungsanordnung außerhalb des Risikobereichs von Mieter und Vermieter liege (andere Ansicht LG Frankfurt a. M., U. v. 02.10.2020 – 2-15 O 23/20).
Aufgrund der im vergangenen Jahr vielfach diskutierten Klarstellung des Gesetzgebers zur Anwendbarkeit von § 313 BGB wurden die staatlichen Corona-Maßnahmen von den Gerichten zuletzt auch vorrangig nicht mehr als Mietmangel, sondern als Störung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB behandelt. Das in diesem Zusammenhang streitentscheidende Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit wurde von den Gerichten in der Vergangenheit jedoch unterschiedlich beurteilt. Aufgrund der Zulassung der Revision des OLG Dresden bekommt der Bundesgerichtshof nun die Gelegenheit, für eine einheitliche Rechtsprechung zu sorgen.
Bei Betrachtung der bislang zu § 313 BGB und der Covid-19 Pandemie ergangenen Rechtsprechung lässt sich ein Lager herausbilden, welches mieterfreundlich ausfällt. In der Entscheidung des LG Mönchengladbachs (LG Mönchengladbach, U. v. 02.11.2020 – 12 O 154/20) wurde eine hälftige Minderung für den Zeitraum einer behördlichen Schließungsanordnung angenommen. Für die Unzumutbarkeitsprüfung genügte dabei die Feststellung von Umsatzeinbußen i. H. v. 100 %. Dabei wurde der Zeitraum von einem Monat auch als erheblich angesehen.
Auch das OLG Dresden führte im Rahmen seiner Prüfung (U. v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20) an, dass für die Schwelle der Unzumutbarkeit keine Existenzgefährdung notwendig sei. Vielmehr nahm das Gericht an, dass bei Einschränkung oder Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit der Mietsache eine Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege, die durch eine Mietminderung zu lösen sei.
Auch das KG Berlin (KG Berlin, U. v. 01.04.2021 – 8 U 1099/20) ging davon aus, dass die Miete bei vollständiger Betriebsuntersagung hälftig zu reduzieren sei, da die Parteien die mit einem aufgrund der Pandemie staatlich angeordneten Shutdown einhergehenden tiefgreifenden, unvorhergesehenen, außerhalb der Verantwortungssphäre beider Parteien liegenden Nachteile solidarisch zu tragen hätten. Eine Existenzgefährdung werde zudem bei einer behördlichen Schließung von mindestens einem Monat vermutet. Bei der Unzumutbarkeitsprüfung seien auch staatliche Hilfen zu berücksichtigen, wobei die Zahlung von Kurzarbeitergeld nichts an der Unzumutbarkeit ändere.
Viele Gerichte lehnten eine Vertragsanpassung jedoch ab und entschieden zugunsten der Vermieter. Teilweise wurde im Rahmen der Unzumutbarkeitsprüfung eine existenziell bedeutsame Folge gefordert (vgl. LG Frankfurt a. M., U. v. 02.10.2020 – 2-15 O 23/20 sowie LG Stuttgart, U. v. 19.11.2020 – 11 O 215/20). Andererseits wurde die Unzumutbarkeit damit begründet, dass die Existenzgefährdung den ultimativen Anwendungsfall darstelle, aber nicht den alleinigen (vgl. LG München I, U. v. 25.01.2021 – 31 O 7743/20).
Alle Gerichte sind sich jedoch insoweit einig, dass hohe Anforderungen an eine Vertragsanpassung i. R. d. § 313 Abs. 1 BGB zu stellen sind. Dies wird bei Betrachtung der Unzumutbarkeitsprüfung in den Urteilen, in denen die Gerichte sich gegen eine Vertragsanpassung entschieden haben, dadurch evident, als die zu beachtenden Umstände von Beginn der Covid-19 Pandemie bis zu den neusten Urteilen stets umfangreicher wurden:
Das LG München I (LG München I, U. v. 25.01.2021 – 31 O 7743/20) betrachtete die konkreten wirtschaftlichen Ergebnisse, die Verpflichtung zur Bildung von Rücklagen, die genaue Untersuchung von Umsatzrückgängen, den Erhalt staatlicher Zuschüsse und ersparter Aufwendungen, die Versicherbarkeit des Risikos, sowie die mögliche Durchführbarkeit von Renovierungsarbeiten.
In einem weiteren Urteil (LG München I, U. v. 12.02.2021 – 31 O 11516/20) ließ das LG München I zudem die durch einen Online Shop eingebrachten Umsätze mit in die Betrachtung einfließen. Das OLG Karlsruhe ging zudem darauf ein, ob der Verlust durch den Verkauf von Artikeln im Fall von Einzelhandelsgeschäften im Nachhinein durch einen Umsatzanstieg wieder eingeholt werden könne (OLG Karlsruhe, U. v. 24.02.2021 – 7 U 109/20).
Das OLG Frankfurt a. M. (OLG Frankfurt a. M., U. v. 17.09.2021 – 2 U 18/21) betrachtete im Rahmen der Unzumutbarkeitsprüfung auch die wirtschaftlichen Verbindlichkeiten des Vermieters, welche in dem konkreten Fall schwerer wogen, als die wirtschaftliche Unzumutbarkeit seitens des Mieters.
Die Frage, wessen wirtschaftliche Ergebnisse im Einzelfall bei Konzernstrukturen zu überprüfen seien, beurteilten die einzelnen Gerichte ebenso unterschiedlich. Für die einzelne Filiale sprach sich das OLG Karlsruhe aus (U. v. 24.02.2021 – 7 U 109/20), während das OLG München davon ausging, dass es im Einzelfall auch auf die wirtschaftliche Situation der Konzernmutter ankommen könne, sich eine schematische Betrachtungsweise aber verbiete (Beschl. v. 17.02.2021 – 32 U 6385/20).
Mit Spannung erwarten wir, wie der Bundesgerichtshof nun weiter vorgehen wird. Sofern der Senat die Revision nicht für unzulässig erachtet und diese durch Beschluss verwirft (wovon wir jedoch nicht ausgehen) oder durch einstimmigen Beschluss als unbegründet zurückweist, hat der BGH zwei Möglichkeiten: Er kann eine eigene Entscheidung in der Sache treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO) oder, was er im Regelfall auch macht, die Sache zur weiteren Verhandlung an die Vorinstanz zurückverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Insoweit wäre das Untergericht jedoch an die rechtliche Beurteilung des BGH gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO). Perspektivisch gehen wir davon aus, dass der BGH nicht eine strenge 50 / 50 Teilung, wie das OLG Dresden es im konkreten Fall angeordnet hatte, für rechtmäßig erachten wird, sondern vielmehr eine umfassende Prüfung aller Umstände auf beiden Parteiseiten für die Unzumutbarkeitsprüfung im Rahmen des § 313 BGB fordern wird.
Der guten Ordnung halber verweisen wir auch noch auf das neueste Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs (Az. 3 Ob 78/21y) vom 21.10.2021, in welchem das Gericht den Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung für den Zeitraum einer pandemischen Schließung ablehnte. In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass das österreichische Recht mit § 1104 ABGB ausdrücklich den Fall regelt, wenn die in Bestand genommene Mietsache wegen außerordentlicher Zufälle, wie u.a. einer Seuche, nicht gebraucht oder benutzt werden kann, und als Rechtsfolge vorsieht, dass kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten ist. Eine entsprechende Regelung gibt es im deutschen BGB gerade nicht.
Verfasst von Marc P. Werner und Angelika Tafelmaier.