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Welche Aufklärungspflichten treffen den Verkäufer einer Immobilie im Rahmen einer Käufer-Due-Diligence?

Immobilienverkäufer sind nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. September 2023 – V ZR 77/22 verpflichtet, Kaufinteressenten auf kurz vor Vertragsschluss in einem Datenraum bereitgestellte Dokumente und deren Bedeutung hinzuweisen.

Anders als die Vorinstanzen hat der BGH entschieden, dass die Verkäuferin ihre Aufklärungspflicht - mangels Hinweises auf das nachträgliche und kurzfristige Hochladen wichtiger Dokumente - verletzt hat. Von einer Käuferin könne nicht erwartet werden, dass sie relevante Informationen zur Kenntnis nimmt, die ihr ohne gesonderten Hinweis kurz vor Abschluss des Kaufvertrages in einem Datenraum zur Verfügung gestellt werden.

Zum Hintergrund

Die Beklagte (Verkäuferin) verkaufte der Klägerin am 25. März 2019 mehrere Gewerbeeinheiten unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Im Rahmen des Kaufvertrages versicherte die Beklagte, dass keine Beschlüsse über künftig fällig werdende Sonderumlagen gefasst worden seien und nach ihrer Kenntnis auch keine außergewöhnlich hohen Kosten für Instandhaltungsarbeiten bevorstünden. Die Klägerin bestätigte im Kaufvertrag, dass sie die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre erhalten und von deren Inhalt Kenntnis genommen habe.

Zur Durchführung der Due Diligence wurde der Klägerin ein virtueller Datenraum zur Verfügung gestellt. An einem Freitag, drei Tage vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages, stellte die Beklagte das Ergebnisprotokoll einer Eigentümerversammlung vom 01. November 2016 in den Datenraum ein, welches die Klägerin ihrer Behauptung nach nicht mehr zur Kenntnis nahm. In der Folgezeit wurde die Klägerin als Eigentümerin der Gewerbeeinheiten im Grundbuch eingetragen.

In der genannten Eigentümerversammlung wurde beschlossen, eine frühere Mehrheitseigentümerin auf Zahlung von EUR 50 Mio. für die Umsetzung eines im Jahr 2006 gefassten Beschlusses über Umbaumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum in Anspruch zu nehmen. Das Ergebnisprotokoll enthielt auch die Ablehnung der Erhebung einer Sonderumlage für diese Baumaßnahmen. Gegen diesen Beschluss erhob eine Eigentümerin einer Gewerbeeinheit Klage und verlangte die Erhebung einer Sonderumlage von allen Eigentümern der Gewerbeeinheiten. Das Verfahren endete - nach Abschluss des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrages - mit einem Vergleich, wonach die Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von zunächst EUR 750.000,00 - bei Bedarf bis zu EUR 50 Mio. - für Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten zu leisten haben. Davon wäre auch die Klägerin als nunmehrige Eigentümerin einer Gewerbeeinheit betroffen gewesen.

Die Klägerin hat daraufhin den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.

 

Die Entscheidung

Der BGH befasste sich mit der zentralen Frage, ob die Verkäuferin wegen unterlassener Aufklärung bei Vertragsschluss haftet.

Nach Ansicht des BGH erfüllte die Verkäuferin ihre Aufklärungspflicht gegenüber der Käuferin, durch das kommentarlose nachträgliche Hochladen des Ergebnisprotokolls der Eigentümerversammlung vom 01. November 2016 in den Datenraum, nicht. Daran vermag auch der Umstand nichts ändern, dass die in Rede stehenden Kosten vorrangig von der Mehrheitseigentümerin getragen werden sollten und eine Sonderumlage noch nicht beschlossen war. Denn solange die geplanten Baumaßnahmen nicht durchgeführt und bezahlt waren, bestand für die Käuferin als künftige Eigentümerin die konkrete Gefahr, dass sie anteilig mit den dafür anfallenden Kosten belastet würde. Hierüber hätte die Käuferin hinreichend aufgeklärt werden müssen. Ein Hinweis auf das nachträglich in den Datenraum eingestellte Dokument im Datenraum hätte hier genügt.

Nach der Rechtsprechung des BGH schließt die Möglichkeit des Käufers, sich selbst Kenntnis von der offenbarungspflichtigen Tatsache zu verschaffen, die Aufklärungspflicht des Verkäufers nicht von vornherein aus. Allein der Umstand, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und dem Käufer den Zugang zu den Daten ermöglicht, lässt nicht den Schluss zu, dass der Käufer von der offenbarungspflichtigen Tatsache Kenntnis erlangen wird. Nur wenn im Einzelfall zu erwarten ist, dass die im Datenraum zur Verfügung gestellten Informationen – etwa im Rahmen einer Due Diligence – wahrgenommen und berücksichtigt werden, ist nach Ansicht des BGH eine gesonderte Aufklärung entbehrlich.

Ein Verkäufer hat seine Aufklärungspflicht hinsichtlich der in einem Datenraum zur Verfügung gestellten Informationen nur dann erfüllt, wenn er berechtigterweise erwarten kann, dass der Käufer durch die Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von der aufklärungspflichtigen Tatsache erlangt. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Art der Durchführung der Due Diligence, der Struktur und Organisation des Datenraums und der Auffindbarkeit der Informationen.

Nach Ansicht des BGH durfte die Verkäuferin im vorliegenden Fall nicht davon ausgehen, dass die Käuferin das kurz vor Vertragsschluss kommentarlos in den Datenraum eingestellte Protokoll noch zur Kenntnis nehmen würde. Der BGH ist der Auffassung, dass die Käuferin ohne ausdrücklichen Hinweis auf das neu eingestellte Dokument (Einstellungsdatum Freitag, 22. März 2019) keine Veranlassung hatte, vor dem Notartermin (Montag, 25. März 2019, 10.00 Uhr) nochmals Einsicht in den Datenraum zu nehmen.

 

Praxishinweis

Aufklärungspflichten spielen im Rahmen von Immobilientransaktionen und insbesondere im Rahmen von Due Diligence-Prüfungen in der Praxis eine große Rolle. Das Urteil des BGH wurde daher mit Spannung erwartet.

Bereits vor der Entscheidung des BGH war bekannt, dass eine Aufklärungspflicht nicht kumulativ mit einer originären Nachforschungspflicht des Käufers zusammentreffen kann, da sich dies denklogisch ausschließt. Besteht eine Aufklärungspflicht, waren bereits vor dieser Entscheidung des BGH strenge Maßstäbe an deren Erfüllung anzulegen, insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts der Aufklärung und ihres Inhalts. Wurden diese beiden Komponenten beachtet, kam ein Verkäufer grundsätzlich seiner Aufklärungspflicht nach, sofern die Offenlegung im Datenraum systematisch und strukturiert erfolgte.

Diese Anforderungen hat der BGH nun dahingehend verschärft, dass eine Aufklärungspflicht nur dann erfüllt ist, wenn und soweit der Verkäufer aufgrund der konkreten Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Das kommentarlose Einstellen von Unterlagen in den Datenraum genügt daher unter Umständen nicht mehr dem Erfordernis der Aufklärungspflicht.

Wie bisher empfehlen wir daher, auf offenlegungspflichtige Umstände besonders und nachweislich hinzuweisen, insbesondere wenn sich diese aus Unterlagen ergeben, die erst kurz vor Abschluss des Kaufvertrages in den Datenraum eingestellt werden. Auch die in der Praxis häufig anzutreffende Vereinbarung eines sog. „cut-off day“ (Vereinbarung, ab wann keine Dokumente mehr hochgeladen werden dürfen) kann dazu beitragen, Streitigkeiten über kurz vor Vertragsabschluss hochgeladene wichtige Dokumente zu vermeiden.

 

 

Verfasst von Leonie Hartmann und Kerstin Schoening.

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