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Nach der Implementierung des StaRUG-Verfahrens in 2021 zeichnet sich abermalig die Einführung eines neuen sanierungsrechtlichen Verfahrens ab. Auch wenn der europäische Gesetzgebungsprozess sich noch in einem frühen Stadium befindet, verspricht die bisher angedachte Art und Weise der Umsetzung der gesetzlichen Änderungen sowohl für (potentielle) Schuldner als auch für die übrigen Beteiligten im insolvenznahen Umfeld weitreichende Folgen zu haben. Entsprechend sind die aktuellen Stellungnahmen aus der Insolvenzpraxis von unterschiedlichsten Interessenlagen geprägt, jede Berufsgruppe hat seine Vorstellungen wie die neuen Regelungen das deutsche Insolvenzrecht weiterentwickeln können. Zusätzlich deutet sich nun auch noch auf europäischer Ebene ein Tauziehen zwischen der Europäischen Kommission und der deutschen Regierung ab, Ausgang ungewiss.
Das Restrukturierungsteam von Hogan Lovells verfolgt eng den Gesetzgebungsprozess und hält Sie weiterhin auf dem Laufenden.
Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung des Insolvenzrechts (COM (2022) 702 final) schreitet die Europäische Union bei der Annäherung des Insolvenzrechts der Mitgliedstaaten voran. Auf das insolvenzrechtliche Verfahrensrecht (EuInsVO) und die Möglichkeit einer präventiven Restrukturierung (StaRUG) folgt nun in einem nächsten Schritt eine (punktuelle) Annäherung des materiellen Rechts. Knapp sieben Monate nach der Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags stehen bereits diverse Stellungnahmen der deutschen Insolvenzpraxis zur Verfügung.
Unter dem übergeordneten Aspekt der Stärkung der europäischen Kapitalmärkte verfolgt der Richtlinienvorschlag im Wesentlichen drei Aspekte: 1) bestmögliche Verwertung der Vermögenswerte bei Liquidierung der Insolvenzmasse; 2) Steigerung der Effizienz und Transparenz der Verfahren; 3) Berechenbarkeit und gerechte Verteilung unter Gläubigern. Nach Ansicht der Kommission führen die zum Teil erheblich divergierenden nationalen Insolvenzregelungen infolge der erforderlichen Informationsbeschaffung zu erhöhten Kosten und damit zu einem wesentlichen Hindernis für grenzüberschreitende Investitionen. Dies wiederrum behindere die Entwicklung der Kapitalmarktunion.
Im Zentrum des Entwurfs und der darum kursierenden Debatten steht das „Pre-Pack Verfahren“, welches in Art. 19-35 des Richtlinienentwurfs vorgesehen ist. Dabei handelt es sich um ein zweistufig ausgestaltetes Distressed-M&A-Verfahren. Konkret wird der Verkauf eines Unternehmens oder einzelner Unternehmensteile vor der förmlichen Verfahrenseröffnung bereits so umfassend vorbereitet (1. Phase), dass es nach der Eröffnung nur noch seines Vollzugs zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung qua Erlösverteilung bedarf (2. Phase). Dies fußt auf der Prämisse, dass der rechtzeitige und vollständige Verkauf eines Unternehmens im möglichst frühen Krisenstadium zu einem höheren Liquidationsgewinn führt. Folglich geht es in der Gesamtschau um eine begrüßenswerte Maximierung der Haftungsmasse zugunsten der Gläubigergesamtheit. Die bisher veröffentlichten Stellungnahmen befürworten diesen Leitgedanken unisono, ist ein „klassischer“ Kauf aus der Insolvenz für Großkonzerne und Private Equity-Gesellschaften doch häufig nicht möglich Der Teufel steckt allerdings wie so oft im Detail bzw. in diesem Falle in der rechtstechnischen Umsetzung des Verfahrens innerhalb der deutschen Insolvenzordnung.
Vorgesehen ist, die Vorbereitungsphase nach Art. 19 Abs. 1 (a) mit einem Antrag des Schuldners bei Gericht auf Bestellung eines Sachwalters einzuleiten. Dieser wird mit der Aufgabe betraut, einen geeigneten Käufer für das (Teil-)Unternehmen zu finden. Der Verkaufsprozess kann entweder im Wege eines nach Fairness-, Transparenz- und Wettbewerbsgesichtspunkten standardisierten Verkaufsprozesses erfolgen (Art. 24 Abs. 1, 2 sowie Erwägungsgrund 26) oder in einem gerichtlich ausgeführten Auktionsverfahren (Art. 24 Abs. 3). Der „freie“ Verkaufsprozess bleibt an die üblichen M&A Marktstandards gebunden, setzt demnach mitunter die hinreichende Beteiligung potentieller Käufer sowie die Informationsgewinnung im Wege einer Due Diligence voraus. Eine Besonderheit besteht darin, dass Credit Bidding (Kaufgebot in Gestalt einer gesicherten Forderung durch einen besicherten Gläubiger) ausdrücklich gestattet wird – wenn auch nur in einem abgesteckten Rahmen (vgl. Art. 33 Abs. 3). Letzteres, wie auch die Dokumentation im Übrigen, wird vom Sachwalter verantwortet. Er hat sicherzustellen, dass der Prozess die Gläubigerinteressen nicht konterkariert. Erforderlich, aber auch ausreichend ist hierzu der Nachweis, dass der Erlös aus dem Pre-Pack Verfahren nicht erheblich geringer ausfällt als bei der Verwertung der einzelnen Assets.
Die hieran anschließende Liquidationsphase dient nach Art. 19 Abs. 1 (b) der Erfüllung des Vertrages zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung durch Erlösverteilung. Hierbei wird der Sachwalter zum Insolvenzverwalter (Art. 25), der eine die Einhaltung der Anforderungen an den Verkaufsprozess bestätigende Stellungnahme abgibt (Art. 26 Abs. 1).
Dem Grunde nach existiert in Deutschland bereits ein Pre-Pack Verfahren in Gestalt der bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren eingeleiteten übertragenden Sanierung (meist in Form des Asset Deals) unter Leitung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Deshalb wird teilweise dafür plädiert, das Pre-Pack Verfahren in die bestehende Regelungssystematik der §§ 21 ff. InsO einzufügen. Es erscheint auch eher unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber sich ohne einen shift of fiduciary duties im Vorfeld der materiellen Insolvenz für ein eigenes Vorverfahren entscheidet, bräuchte es andernfalls doch des gesicherten Rückhalts der Gläubiger. Vor diesem Hintergrund plädiert insbesondere das Lager der Insolvenzverwalter:innen für eine klarstellende Regelung in § 22 Abs. 1 InsO, wonach der/die vorläufige Insolvenzverwalter:in neben der Überwachung des Unternehmens auch mit der Kompetenz ausgestattet werden soll, einen Verkaufsprozess durchzuführen. Für eine solche Einbettung spräche jedenfalls auch das landläufig monierte Fehlen von Regelungen betreffend den Übergang der Vorbereitungsphase in die Liquidationsphase im Richtlinienentwurf. Mit Blick auf dieses Desiderat könnte die Einbettung der Vorbereitungsphase in die vorläufige Insolvenzverwaltung/Eigenverwaltung Abhilfe schaffen. Aus Beraterkreisen wird demgegenüber angeregt, eine Distinktion zu den Regelungen in §§ 21 ff. InsO zu schaffen, vor allem in Bezug auf die Zuständigkeiten des Sachwalters im Vergleich zu dem bisherigen vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. vorläufigen Sachwalter. Es wird befürchtet, dass der Versuch der Implementierung zu Brüchen in dem bestehenden und funktionierenden Regelungssystem führen könne und damit eine Schwächung der deutschen Sanierungsinfrastruktur einhergehe.
Für die Auswahl des Sachwalters – und auch für den anschließenden Verkaufsprozess – wird zudem eine (institutionalisierte) Gläubigerbeteiligung gefordert, handelt es sich bei der Person doch auch um den späteren Insolvenzverwalter. Klärungsbedürftig erscheint überdies der (persönliche) Haftungsrahmen des Sachwalters für Schäden, die Gläubigern und vom Pre-Pack Verfahren betroffenen Dritten durch die Nichterfüllung seiner Pflichten entstehen.
Auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt die Regelung in Art. 27 Abs. 1, der zufolge Verträge des Schuldners auch ohne Zustimmung der Vertragspartei grundsätzlich auf den Erwerber übergehen sollen, wenn ihre Aussetzung zur Stilllegung des Geschäftsbetriebs führen würde. So tauglich diese Maßnahme zur Verfahrensbeschleunigung auch ist, so tief greift sie in die Privatautonomie der Vertragsparteien ein und führt faktisch zu einem dem Zivilrecht grundsätzlich unbekannten Kontrahierungszwang. Sollte dem Gesetzgeber hier eine verfassungskonforme Ausgestaltung gelingen, darf die Regelung keinesfalls zur Umgehung von Aufsichts- und anderen Schutzgesetzen führen. Konzeptionell steht über allem die entscheidende Frage, wie das Zusammenspiel zwischen InsO, StaRUG und dem Pre-Pack Verfahren ausgestaltet werden soll. Von entscheidender Bedeutung ist hier das (zukünftige) Zusammenspiel mit den nationalen Insolvenzgründen, denn nach dem europäischen Vorschlag ist das Verfahren (bisher) an keine Zugangsvoraussetzungen geknüpft. Zudem müssen Systembrüche zwischen den verschiedenen Verfahrensarten vermieden und die jeweiligen Vorzüge erhalten bleiben. Zu nennen ist hier nur das Insolvenzplanverfahren, welches sich in einigen Branchen als äußerst effektiv erwiesen hat und vor allem für Share Deals interessant bleibt.
Was die übrigen Harmonisierungsvorschriften anbelangt, wird wenig Änderungsbedarf gesehen, da das deutsche Insolvenzanfechtungsrecht in seiner geltenden Fassung schon einen zum Teil höheren Schutzstandard aufweist. Scharfer Kritik unterliegen einzig die Regelungen des Entwurfs zur Abwicklung insolventer Kleinstunternehmen. Aus der Mehrzahl der Stellungnahmen sprechen Zweifel an der Praktikabilität wie auch Effektivität des Verfahrens. Die aktuellen Regelungen würden den Schuldner regelmäßig überfordern und Beraterbedarf auslösen, welcher voraussichtlich zu höheren Kosten führen wird als bei einem Regelinsolvenzverfahren. Der Bundesrat hatte daher in seiner Beschlussdrucksache betont, dass er eine Einführung des Verfahrens in der von der Richtlinie vorgesehenen Form ablehnt. Das „verwalterlose Verfahren“ führe lediglich zu einer Verlagerung der Aufgabenfelder von dem Insolvenzverwalterbüro auf das Insolvenzgericht und somit zu einer erheblichen Mehrbelastung der Justiz. Auf diese Bedenken antwortete die Europäische Kommission im September 2023 knapp, dass durch den Richtlinienvorschlag die Belastung der Gerichte gerade minimiert werde. Eine mehrfache Befassung der Gerichte mit dem insolventen Unternehmen werde so vermieden. Wer sich hier schlussendlich durchsetzt, bleibt abzuwarten.
Verfasst von Christian Herweg, Christine Borries, Maximilian Wirth und Alina Holze