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Das Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts („SanInsFoG“) schreitet in beachtlicher Geschwindigkeit voran. Seit 14. Oktober 2020 liegt der Regierungsentwurf („RegE“) vor. Das Gesetz beinhaltet neben der Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes („StaRUG“) auch einige Änderungen in der Insolvenzordnung. Trotz der teilweise massiven Verschärfung der Geschäftsleiterpflichten durch das SanInsFoG, sieht der RegE auch eine Erleichterung gegenüber der aktuellen Rechtslage vor. Dieser kurze Beitrag beschäftigt sich mit den Erstattungspflichten für Geschäftsführer und Vorstände bei Zahlungen nach Insolvenzreife, § 15b InsO nach RegE-SanInsFoG.
Die Regelung in § 15b Abs. 1 InsO nach RegE-SanInsFoG fasst im Wesentlichen das bisher in verschiedenen Gesetzen normierte Zahlungsverbot nach Insolvenzreife zusammen (siehe insbesondere § 64 GmbHG und § 92 Abs. 2 AktG). Den Geschäftsführer einer GmbH und den Vorstand einer AG trifft gemäß aktuell noch geltendem Recht eine Ersatzpflicht für Zahlungen, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder Feststellung ihrer Überschuldung leistet und die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns vereinbar sind.
Änderungen erfährt diese generelle Regelung im Rahmen der Vereinheitlichung in § 15b InsO nach RegE-SanInsFoG an zwei Stellen:
Leichtes Aufatmen bei Geschäftsleitern
Solange die Geschäftsleiter Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder aber zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags durchführen, gelten Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.
Diese Regelung enthält eine wichtige Privilegierung solcher Zahlungen und weicht erheblich von der bislang strengen Rechtsprechung des BGH ab:
Der BGH legte bisher einen engen Maßstab an bei der Bestimmung, welche Zahlungen im Zustand der Insolvenzreife noch mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, NZG 2017, 1034). Die Erstattungspflicht entfällt nach noch geltendem Recht regelmäßig nur dann, wenn der Zahlung eine unmittelbare wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht, die von den Gläubigern sinnvoll verwertet werden kann („Ausgleich der Masseverkürzung durch einen Massezufluss“). Arbeits- und Dienstleistungen, Energielieferungen und Telekommunikationsdienstleistungen können von den Gläubigern nicht verwertet werden, so dass nach der Rechtsprechung des BGH Zahlungen auf solche Leistungen regelmäßig nicht privilegiert sind. Nimmt der Geschäftsleiter dennoch solche Zahlungen bei Insolvenzreife vor, ist er der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz verpflichtet.
Dass Geschäftsleiter durch diese Ersatzpflicht faktisch daran gehindert werden, das Unternehmen nach Eintritt der Insolvenzreife fortzuführen, ist nach bisheriger Rechtsprechung des BGH vom Gesetz gewollt. Allenfalls soweit ausnahmsweise eine konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht werden würde, können Zahlungen zur Vermeidung noch größerer Nachteile mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sein (s. exemplarisch BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, BeckRS 2019,12184 mit Verweis auf weitere Entscheidungen).
Es liegt auf der Hand, dass mit dieser Rechtsprechung bei Geschäftsleitern eine große Unsicherheit darüber herrscht, welche Zahlungen sie nun vornehmen dürfen und für welche sie die Ersatzpflicht trifft. Schon für die Einschätzung der Frage, ob eine konkrete Sanierungschance besteht, die bei Nichtvornahme einer bestimmten Zahlung wieder zunichte gemacht werden würde, wird oftmals ein Sanierungsgutachter bestellt werden müssen. Nach der Rechtsprechung des BGH wäre aber schon fraglich, ob dessen Dienstleistung überhaupt bezahlt werden dürfte, wenn sich das Unternehmen bereits im Zustand der Insolvenzreife befindet.
Um diesen Unsicherheiten zu begegnen, hat der Gesetzgeber mit dem neuen § 15b Abs. 2 InsO nach RegE-SanInsFoG entgegen der BGH-Linie klargestellt, dass ein Geschäftsleiter, solange er seinen insolvenzrechtlichen Pflichten nachkommt, Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes leisten darf. Dies gilt ausweislich der Gesetzesbegründung auch und gerade für Zahlungen auf Dienstleistungen.
Aber: Einschränkungen von dieser Privilegierung gelten für den Zeitraum nach Ende der Frist zur Insolvenzantragsstellung, § 15b Abs. 3 InsO nach RegE-SanInsFoG
15b Abs. 3 InsO nach RegE-SanInsFoG stellt jedoch ausdrücklich klar, dass Zahlungen, die nach diesem Zeitraum getätigt werden, im Regelfall nicht mehr privilegiert werden können. Zu beachten in diesem Zusammenhang ist der oft in der Praxis falsch verstandene 3-Wochen-Zeitraum (bzw. für die Überschuldung nach SanInsFoG 6-Wochen-Zeitraum) des § 15a InsO: Ein Geschäftsleiter hat gerade nicht 3 oder 6 Wochen Zeit, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Vielmehr hat er den Antrag „ohne schuldhaftes Zögern“, also grundsätzlich sofort zu stellen. Nur, solange Maßnahmen eingeleitet werden, die der Sanierung dienen, darf dieser Zeitraum ausgenutzt werden. Die Frist kann demnach also weitaus früher enden als nach 3 bzw. 6 Wochen.
Der Gesetzgeber stellt klar, dass er die Pflichtenkollision des Geschäftsleiters durchaus erkennt, die sich dadurch ergibt, dass er gewisse Zahlungspflichten hat (z.B. Sozialversicherungsbeiträge), diese aber nicht mehr zwangsläufig bedienen darf. Dieser Pflichtenkollision kann sich aber der Geschäftsleiter ausweislich der Gesetzesbegründung dadurch entziehen, dass er pflichtgemäß einen Insolvenzantrag stellt. Dies erscheint sachgerecht, da nun ausdrücklich feststeht, dass solche Zahlungen im Zeitraum zwischen Insolvenzreife und Frist zur Antragsstellung erlaubt sind.
Praxistipp:
Geschäftsleiter müssen beachten, dass die Privilegierung nur soweit gilt, wie sie sich an ihre insolvenzrechtlichen Pflichten halten. D.h., sobald die Insolvenzreife eintritt, muss ein Geschäftsleiter Maßnahmen einleiten, die der Sanierung oder der Vorbereitung eines Insolvenzantrages dienen – und diese Maßnahmen binnen 3 (bei Zahlungsunfähigkeit) bzw. 6 (bei Überschuldung) Wochen umsetzen. Nur dann kann er sich bei Zahlungen darauf berufen, dass diese der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes gedient haben und damit nicht zu einer Erstattungspflicht führen. Vorstehendes gilt natürlich nur insoweit, als das Gesetz gemäß dem letzten Entwurf in Kraft tritt. Ansonsten bleibt es bei den dargestellten Unsicherheiten.
Stimmen zu der neuen Regelung:
Die Neuregelung in § 15b Abs. 2 InsO nach RegE-SanInsFoG wurde bisher überwiegend positiv aufgenommen. Einzelne Anmerkungen, z.B. des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) noch zum Referentenentwurf, wurden in den Regierungsentwurf aufgenommen. Kritik gibt es bisher vor allem in Bezug auf den Begriff der „nachhaltigen“ Maßnahmen zur Beseitigung der Insolvenzreife. Dieser sei näher zu bestimmen.
Autoren: Katharina Kranzfelder, Dr. Thomas Ressmann