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Nach einer intensiven politischen Debatte hat der Bundestag am 11. Juni 2021 das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz)“ verabschiedet. Durch das landläufig unter dem Begriff "Lieferkettengesetz" diskutierte Vorhaben sollen Unternehmen für den weltweiten Schutz von Menschenrechten (einschließlich damit zusammenhängender umweltbezogener Risiken) stärker in die Pflicht genommen werden. Laut einer Umfrage von Infratest dimap sprachen sich eine Mehrheit der Deutschen für ein solches Gesetz aus. Auch einige Unternehmen forderten einen gesetzlichen Rahmen für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten (Stichwort "Human Rights Due Diligence").
In der Debatte gab es jedoch auch starken Gegenwind, insbesondere von einigen Wirtschaftsverbänden. Der Anfang März vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzesentwurf für das neue Sorgfaltspflichtengesetz wurde am 22. April 2021 vom Bundestag in erster Lesung beraten, danach mangels Konsens der Regierungsparteien jedoch zunächst wieder von der Tagesordnung genommen. Ende Mai wurde ein Kompromiss erzielt, der zuletzt vom zuständigen Parlamentsausschuss weiter ausgearbeitet und nun vom Bundestag als Gesetz beschlossen wurde. Der Kompromiss sieht keine neue zivilrechtliche Haftung für Unternehmen vor und der Anwendungsbereich wurde auf relativ große Unternehmen begrenzt. Allerdings beinhaltet das Gesetz signifikante Bußgelder und Dokumentationspflichten. Mittelfristig ist auch mit einer Verschärfung der Vorgaben auf europäischer Ebene zu rechnen; insbesondere im Hinblick auf die Unternehmensgröße und die Haftung von Unternehmen erscheint daher das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Das Sorgfaltspflichtengesetz tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Die wesentlichen Eckpunkte des neuen Gesetzes sind:
Das Sorgfaltspflichtengesetz erfasst zunächst Unternehmen, die:
Erfasst sind zudem deutsche Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen, wobei die vorgenannten Größenkriterien entsprechend gelten.
Auch wenn das neue Gesetz damit im Ergebnis zunächst nur relativ große Unternehmen betrifft, sollten alle Unternehmen das Thema Human Rights Due Diligence im Auge behalten. Aufgrund europäischer Vorgaben könnten nämlich Sorgfaltspflichten bald auch kleine und mittlere Unternehmen treffen, zumindest soweit diese mit einem erhöhten Risiko für die Verletzung von Menschenrechten behaftet sind.
Die Sorgfaltspflichten betreffen im Grundsatz die gesamte internationale Lieferkette, d.h. neben direkten Vertragspartnern (sog. "unmittelbare Zulieferer") auch sog. „mittelbare Zulieferer“, deren Produkte für die unternehmerische Wertschöpfung notwendig sind. Allerdings erfolgt die Risikoermittlung im Bereich der mittelbaren Lieferbeziehung nur anlassbezogen.
Nach dem neuen Gesetz sind Unternehmen in Bezug auf ihre Lieferketten verpflichtet zur:
Besonderes Augenmerk sollte unter anderem auf die Dokumentationspflichten sowie die Vertragsgestaltung gelegt werden. Insbesondere der Verweis auf völkerrechtliche Verträge zum Schutz der Menschenrechte im Rahmen der relevanten Verbote führt zu potenziell weitgefächerten Sorgfaltspflichten, was sich im Dokumentationsprozess niederschlagen sollte. Weiterhin sieht der Gesetzesentwurf ausdrücklich eine Pflicht vor, mit unmittelbaren Zulieferern vertragliche Zusicherungen zur Einhaltung von Menschenrechtstandards und vertragliche Kontrollmechanismen zu vereinbaren.
Die Einhaltung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten wird vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert. Verstöße können zu verschiedenen behördlichen Anordnungen und Maßnahmen führen. Zudem können Bußgelder verhängt werden und betroffene Unternehmen für bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Die Bußgelder können bis zu zwei Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes des Konzerns (als wirtschaftliche Einheit) betragen.
Eine Verletzung der Pflichten nach dem Sorgfaltspflichtengesetz begründet als solche keine zivilrechtliche Haftung. Unabhängig davon bestehende Anspruchsgrundlagen, z.B. nach Deliktsrecht, bleiben unberührt, wobei die Gesetzesbegründung klarstellt, dass das Sorgfaltspflichtengesetz kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen soll.
Die Frage der zivilrechtlichen Haftung war einer der umstrittenen Punkte in der öffentlichen Diskussion. Als Ergebnis des politischen Kompromisses stellt das Gesetz nun klar, dass es zu keiner Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung kommen soll.
Dies bedeutet, dass Unternehmen – abgesehen von den oben genannten behördlichen Sanktionen – nach wie vor in eingeschränktem Umfang für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette haften. Typischerweise geht es bei Menschenrechtsklagen um eine Konstellation, in der ein inländisches Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen belangt wird, die im Ausland von einer Tochtergesellschaft oder einem Zulieferer verursacht wurden. Nach den europäischen Regeln zur Ermittlung des anwendbaren Rechts in internationalen (außervertraglichen) Sachverhalten (sog. Rom II Verordnung) wird eine solche Klage in der Regel nach dem Recht des Staates entschieden, in dem die Menschenrechtsverletzung eingetreten ist, das heißt regelmäßig nach dem Recht des Produktionslandes. Die unternehmerische Haftung kann also eingeschränkt sein, wenn das Recht im Produktionsland einen geringen Schutzstandard vorsieht.
Auch nach deutschem Recht trifft den Auftraggeber im Grundsatz nicht die Verantwortung dafür, wie ein Lieferant oder Geschäftspartner seine Geschäftstätigkeit organisiert. Eine Verantwortung für Dritte bedarf einer gesonderten Regelung und nur unter bestimmten Umständen haben deutsche Gerichte bisher die Mitverantwortung des Auftraggebers bejaht. Beispielsweise wurde eine Mitverantwortung angenommen bei der Schaffung einer Gefahrenquelle in Form von toxischem Abfall – hier hat die deutsche Rechtsprechung eine Sorgfaltspflichtverletzung angenommen, wenn für die Entsorgung kein ausreichend professioneller Anbieter gewählt wurde. Vor diesem Hintergrund sind auch Haftungsrisiken im Hinblick auf Menschenrechte denkbar und zwar insbesondere, wenn der Auftraggeber die Gefahr in irgendeiner Weise mitverursacht hat oder Verantwortung für den Arbeitsschutz übernommen hat.
Können Angaben in nichtfinanziellen Erklärungen beziehungsweise Nachhaltigkeitsberichten eine Haftung für Menschenrechtsverletzungen begründen? Große kapitalmarktorientierte Gesellschaften haben seit 2016 eine nichtfinanzielle Erklärung zu veröffentlichen, welche Angaben zur Achtung von Menschenrechten und hiermit verbundene Due Diligence Prozesse umfasst. Derartige Angaben dürften jedoch nicht als Haftungsgrundlage für Klagen von Betroffenen dienen. Falsche Angaben sind unter Umständen aber sehr wohl mit Konsequenzen verbunden; unter anderem ist mit Bußgeldern oder Reputationsschäden zu rechnen.
Das Thema Haftung dürfte allerdings mit der Verabschiedung des Sorgfaltspflichtengesetzes noch nicht endgültig vom Tisch sein. Auf europäischer Ebene soll eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen auf den Weg gebracht werden. Das Europäische Parlament hat am 10. März 2021 Empfehlungen für die Ausarbeitung einer solchen Richtlinie vorgelegt. Aktuell liegt das Thema bei der Kommission. Ähnlich dem deutschen Gesetzesvorhaben ist in diesem Zusammenhang mit ausführlichen Berichtspflichten sowie einer Verpflichtung von Unternehmen zur Risikoanalyse, Vorbeugung und Behebung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten zu rechnen. Allerdings könnte der Anwendungsbereich im Hinblick auf die Unternehmensgrößen signifikant erweitert sein. Zusätzlich könnten nach der Vorstellung des Europäischen Parlaments und der Kommission auch zivilrechtliche Haftungsregelungen eingeführt werden. Dies beträfe nach den ersten Vorschlägen Schäden, die von den jeweiligen Unternehmen selbst oder durch von ihnen kontrollierte Unternehmen (mit-)verursacht wurden. Damit wären einerseits europäische Schutzstandards auch auf internationale Sachverhalte anzuwenden; andererseits würde hierdurch wohl nur eine eingeschränkte Verantwortung entlang der Lieferkette begründet, da „kontrollierte“ Unternehmen nur solche sind, bei welchen zumindest faktisch die Möglichkeit besteht, auf die jeweiligen Entscheidungsgremien einzuwirken, wie beispielsweise bei konzernverbundenen Unternehmen. Die weiteren Entwicklungen auf der europäischen Ebene bleiben abzuwarten, da sich das Gesetzgebungsvorhaben noch in einem frühen Stadium befindet.
Mit einer Übergangszeit von ca. eineinhalb Jahren müssen sich betroffene Unternehmen nun relativ kurzfristig auf die Umsetzung des Sorgfaltspflichtengesetzes einstellen. Lieferketten müssen im Hinblick auf Menschenrechte und damit zusammenhängende umweltbezogene Risiken aktiv gemanagt werden. Dazu sollten Due Diligence Prozesse überprüft und ggf. neu aufgesetzt oder weiterentwickelt werden. Bei der Auswahl von Zulieferern sowie bei der Vertragsgestaltung sollten menschenrechtliche Sorgfaltspflichten frühzeitig berücksichtigt werden.
Das neue deutsche Sorgfaltspflichtengesetz ist dabei Teil einer allgemeinen internationalen Entwicklung hin zu verstärkter Unternehmensverantwortung, was derzeit häufig unter dem Stichwort "ESG" (Environmental, Social and Governance) diskutiert wird. Kunden, Verbraucher und Investoren beziehen die Achtung von Menschenrechten verstärkt in ihre Entscheidungen ein. Verpflichtende und freiwillige Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen werden zunehmend von Menschenrechtsaktivisten öffentlich kritisch bewertet und hinterfragt. Auch wenn Menschenrechtsklagen aufgrund der nach wie vor eingeschränkten Haftung von Unternehmen vor Gericht im Ergebnis selten erfolgversprechend sind, kann ein entsprechender Gerichtsprozess für das beteiligte Unternehmen mit erheblichen Reputationsverlusten verbunden sein.
In diesem Zusammenhang zeichnet sich ab, dass insbesondere international agierende Unternehmen über Jahre hinaus mit der Herausforderung mehrerer uneinheitlicher und potentiell unübersichtlicher Regelungsregime konfrontiert sein werden. So gibt es bereits jetzt neben dem neuen deutschen Gesetz auch weitere nationale Gesetze bzw. entsprechende Initiativen in anderen Ländern (z.B. in Frankreich und den Niederlanden), mit jeweils unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Pflichtenumfängen.
Mit unserem internationalen Netzwerk unterstützen wir von Hogan Lovells betroffene Unternehmen sowohl auf nationaler Ebene als auch im internationalen Kontext, um die rechtlichen Anforderungen in der Lieferkette strategisch, effizient und praxisnah umzusetzen.
Verfasst von Dr. Patrick Ayad, Sebastian Schnell und Dominika Wiesner.